Zum Tod Ralph Giordanos (1923-2014)

Erinnerungen an eine Lesung im Jahr 1998

von Frank Becker

© Kiepenheuer & Witsch
Zum Tod Ralph Giordanos
Erinnerungen an einen großen Deutschen
und an eine Lesung im Jahr 1998
 
In der Lesungs-Reihe der Wuppertaler Buchhandlung Köndgen war am Vorabend des Welttages des Buches 1998 der Journalist und Schriftsteller Ralph Giordano mit der Präsentation seines neuen Buches „Deutschlandreise - Aufzeichnungen aus einer schwierigen Heimat“ zu Gast. In der gut einstündigen Lesung vor ca. 240 Zuhörern erwies sich der damals 76-jährige, Verfasser von Bestsellern wie „Die Bertinis“ (1982), „Die zweite Schuld – oder von der Last, Deutscher zu sein“ (1987), „Mein irisches Tagebuch“ (1996) und später „Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr“ (2002), „Erinnerungen eines Davongekommenen“ (2007) und „Mein Leben ist so sündhaft lang (Tagebuch, 2010)“ als glaubhafter und ernstzunehmender Zeitzeuge, kundiger Reisender, aufmerksamer Beobachter und präziser Schilderer von Stationen seiner Reise durch das ganze Deutschland nach der Wiedervereinigung. Nicht zuletzt brillierte er als wohlklingender Interpret der eigenen Texte, die er oft erklärend oder ergänzend extemporierte. Von Rügen bis zum Obersalzberg und von Köln bis zum Oderbruch blieb kaum ein Winkel Deutschlands, seines Landes, unbesucht. Landschaften, Menschen und Stimmungen beschreibt Giordano in wunderschöner, unkomplizierter Sprache, läßt an seinen Gedanken und Gefühlen bei dieser Besichtigung der Heimat teilnehmen und unterhält zugleich mit seiner anschaulichen Prosa blendend. Immer wieder klingt Dankbarkeit dafür an, heute beruhigt in einer Demokratie wie der unseren leben zu dürfen, nachdem er in seinen jungen Jahren Verfolgung, Haft, Folter und Zwangsarbeit hat ertragen müssen. Und mehrfach auch der Hinweis darauf, daß Deutschland nach der Überwindung zweier Gewaltregimes nun die Chance einer ganz neuen Bilanz und Lehre hat. Ralph Giordano präsentierte sich in der anschließenden Diskussion als radikaler Demokrat und Warner sowie unbestechlicher Feind von Diktaturen und Despoten, der sich nicht von „notorischen Pazifisten“ vereinnahmen läßt, wenn es um die Beseitigung von Unrecht geht und der Mörder offen beim Namen nennt. „Die Wahrheit will ans Licht - Verdrängen nützt nichts!“

Für Pauschalumarmer, xenophile Einäugige, Sozialromantiker, Gutmenschen vom Dienst und Beschwichtigungsapostel hatte Ralph Giordano ebensowenig übrig wie für linke und rechte Extremisten. Auch der verharmlosende Kuschelkurs mit dem Islam und dessen aggressive Doktrin waren ihm nicht geheuer und Grund für einen offenen Brief an den Bundespräsidenten sowie für deutliche Warnungen vor einer blauäugigen Politik gegenüber diesem Phänomen. An die Adresse der auf einem Auge Blinden richtete sich sein damals wie bis zu seinem Ende gültiger Schlußsatz: „Von niemandem lasse ich mich in meiner Versöhnungsbereitschaft übertreffen, wenn die Bedingungen der Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit erfüllt sind.“ Ralph Giordano, den ich später gelegentlich beim Reibekuchenessen im Kölner Restaurant „Höhns“ traf und als vergnügten, aufgeschlossenen und äußerst liebenswerten Menschen in Erinnerung behalten werde, starb am 10. Dezember im Alter von 91 Jahren.
 
Ralph Giordanos Bücher sind im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.