Gewisse Erwartungen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Gewisse Erwartungen

6.1. Die alte Frau stand mit dem Schneeschieber auf dem Bürgersteig und machte den Weg frei. Ich dachte nur, das ist doch eine Provokation, wegen ihr machen wir doch unsere vereisten Bürgersfeige frei, da hat sie doch im Bett zu liegen und vorsichtig zu sein, anstatt mit ihrem Einsatz normale Familienväter vorzuführen.
 
7.1. Der Tannenbaum muß aus dem Raum. Ich kann ihn nicht mehr sehen. 
 
8.1. Heute fand ich einen Brief wieder, den Inka mir Mal geschrieben hatte: „Habe ich dir eigentlich schon meine neue Polyacryldecke gezeigt, die im Dunkeln immer so schön aufblitzt? Muß ich mal machen, sieht man aber nur im Dunkeln, fast ein Feuerwerk.“
 
Noch ein Brief von Inka:
10.1. „Und dann will ich denken, daß du schön bist. Komm her, das muß schon stimmen, ich mach' mich doch auch zurecht, auf jeden Fall mußt du so schön sein, daß wir nicht das Gefühl haben, wir verpassen was im Fernsehen, das muß schon stimmen…“ Schade, irgendwann schreibt man sich nicht mehr.



© Erwin Grosche