Liebe Musenblätter-Freunde - ab heute haben wir die (Schaden-)Freude, Ihnen Woche für Woche zu Ihrem Vergnügen einen der so gefürchteten wie göttlichen Literaturverisse von Wolfgang Nitschke zu präsentieren, die unter dem Titel „Bestsellerfressen“ zwischen 1998 und 2007 unter den Dilletanten der Literatur Angst und Schrecken verbreitet haben. Das waren - und sind noch immer - nicht wenige. Freuen Sie sich also auf Wolfgang Nitschkes wöchentliche Kolume. Mit dieser fing es an: 
                                      Häuptling „Weise Strähne“ „Vier Zeiten - Erinnerungen“ von Richard von Weizsäcker 
            Liebe Leser!  
            Der liebe  Gott war wahrscheinlich außer Haus, ohnmächtig, oder ist erst gar nicht  gefragt worden. Vielleicht fällt die Spiegelbestsellerliste auch  einfach nicht in sein Ressort. Sei's drum. Lange Zeit auf Platz 1:  
            „Vier Zeiten“  - eine Autobiographie, selbst gestriegelt und gepinselt von Richard  Freiherr von Weizsäcker, eine Autobiographie, die es in sich hat, und  zwar alles: Auto, Bio und Buchstaben. Allerdings nur: von Leben keine  Spur!  
            Vom  ersten bis zum letzten Rauchzeichen gelingt „Häuptling 8. Mai“ die  atemberaubende Spannung und atmosphärische Dichte von vergammeltem  Kaugummi aus Poona.  
            Kostprobe? Na gut.  
               „Die  Mutter begleitete die Entfaltung eines jeden ihrer Kinder mit der  tiefen Kraft ihrer Liebe. Ein lautes Wort habe ich zeitlebens nicht von  ihr gehört.“  
            „Leider, leider!“ möcht” man schrei´n.  
            Zu der  abenteuerlichen Macke, selbst jahrzehntelangen Briefwechsel von Alpha  bis Omega zu reimen und zu versen, gesellt sich am Hofe derer von  Weizsäcker noch der Hang, feine, feine Aquarelle zu äh quarellieren.  
            Aber um  die tiefe Tiefe der selbstlosen Selbstlosigkeit unseres adeligen Albinos  in seiner ganzen Gänze wirklich voll zu checken, muß man wohl wissen,  daß das esoterisch-nekrophile Rumgekleckse mit Wasser, Farben und viel  Gedähs, also Aquarellíeren, als familiärer Zwang quasi die gesamte  Sippschaft versippt hat:  
            Der Oppa  aquarellierte, die Omma aquarellierte, die Uromma sowieso, der Uroppa  auch, die Tanten, Onkel, einfach alle. Da aquarellierte zusammen, was  nicht ganz dicht war, und was wohl jeden einzelnen dieser schrecklich  netten Mischpoke davor bewahrte, selbst und ganz ins Wasser zu gehen.  
            Kostprobe! Und wieder muß die Mama ran.  
            „Das Aquarellieren wurde ihr zur zweiten Natur.“  
            So, es  reicht! Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, als hätte Richard  Freiherr von Mumpitz die Chronik der größten Aquarellierer-Dynastie  aller Zeiten dahingemacht. Denn nicht zum Aquarellieren ward er geboren,  sondern zum Delirieren. Wobei in seinem Delirium das Aquarelliriurn  immer auch ein stückweit durchnäßt.  
            Kostprobe. Auch hier dreht sich alles um die Mama.  
              „Argumentiert  sie im Gespräch, dann geschieht es nicht mit den scharfen Instrumenten  des Holzschnittes, sondern mit dem Zauber zarter Wasserfarben (da sind  sie wieder), die aus tiefen Quellen entspringen.“ Hm.  
            Nun ist  es aber auch nicht so, daß der feine Herr Freiherr seine ganze lange  Schwarte lang nur über die liebe Mama labern täte. Im Gegenteil. Frauen  kommen im Leben dieses Feministen der 1. Stunde praktisch überhaupt  nicht vor. Nicht mal seine eigene.  
            Halt stop, stimmt nicht! Mindestens drei Mal erwähnt er „Mariannes stets sachkundige und liebevolle Betreuung des Gartens der ganz und gar nicht protzigen Villa Hammerschmidt“.  
            Und auf  einem Photo sieht man sie ganz allein, wie sie am ganz und gar nicht  protzigen Gartentisch der ganz und gar nicht protzigen Veranda in ein  Büchlein schaut, ganz allein, mit dem Titel:  
            „Suchtkranke in der Nachsorge - Inhalte, Angebote, Erfahrungen“.  
            Nein, das Weib is' nix für Weizifeixi; er hat´s da lieber mit „großherzigen,  bescheidenen heilignüchternen Männern voller Reife ihres Wesens und  bewegender Anteilnahme, ausgestattet mit der liberalen Distanz zu  Bürokratie und Parteien und lebenslanger Treue zum König.“ Und alle Mann samt und sonders mit der „nur ihnen eigenen, unvergleichlichen, persönlichen, ja, individuellen, unverwechselbaren“ ...Unverwechselbarkeit.  
            Da schießen sie wie Glibbermorchel aus der Fäulnis, die Jungs mit „ihren guten Augen und warmen Herzen, ihrer forschenden Suche, neugierigen Hingabe und ihrem sicheren Stilgefühl“.  
            Einer von diesen Typen hat sogar gleich drei Marotten anner Hacke, und zwar „die Triade der Nützlichkeit, der Festigkeit und der Schönheit.“ Und „nicht selten werden dann die Klingen gekreuzt.“  
            Daß sich  da seine einsame Frau und Rasenmäherin über Angebote und Erfahrungen von  Drogisten aller Art informiert, das macht sie dem Leser direkt wieder  sympathisch.  
            Egal.  
            Kehren wir zurück zu Richard, dem Unverwechselbaren. Daß unserem Häuptling „Weise Strähne“ bei seinen „denkwürdigen, zutiefst menschlichen Begegnungen“  schnurzpiepenschnuppi ist, Welche unverwechselbare Kreatur er jetzt  wieder zulallt, ist klar; ob Bischof Tutu oder Friedrich Nawatnu,  Schewardnadse oder die heiligen Drei Könige, Ernst Jünger oder Prinz  Bupupil, der noch Jüngere, ist gehüppt wie gedüppt.  
            Und daß er „alle seine besonders wertvollen Gesprächspartner“  mit der verschimmeltsten aller verschimmelten Innerlichkeits-Prosa  vollschleimt und damit eigentlich nur sich selber meint, ist wohl die  unangenehmste Wahrheit, die diese 835 Gramm schwere Worthülse offenbart,  diese unappetitlichste Selbstvergottung, die jemals zwischen zwei  Buchdeckel gewürgt worden ist.  
            Bei  soviel taktisch klugem Realitätsverlust ist es dann auch kein Wunder,  daß der gute Sohnemann seinen Papi nachträglich zum lebenslangen  Widerstandskämpfer hochphantasiert, zu einem Widerstandskämpfer gegen  die sog. „Dämonie des Bösen“, oder auch „Dunkle Zeit“ genannt;  ausgerechnet seinen Papi, einen Mann, der bis 1943, wo alle Öfen auf  Hochtouren liefen, als Unterschriftenautomat im Auswärtigen Amt aber  auch noch unter jede Transportliste sein „Heile, heile Gänschen“ setzte.   
            Und alle  sind sie Opfer: der, der glaubte, und der, der dran glauben mußte. Vom  „Weizsäckern“, also von der hohen Kunst der Gleichmacherei, hätte sich  Pol Pot noch eine Scheibe abschneiden können.  
            Ein  altes, fundamentalterroristisches Prinzip aus Algerien lautet:  „Bestreiche die Schnauze deines Kojoten mit Käse, und die ganze Welt  wird ihm gleich - Schmierkäse“  
            Gute Nacht.  
            (Januar 1998)  
                         Weitere Informationen: (Nachrichten)  www.wolfgang-nitschke.de  und (Bücher)  www.edition-tiamat.de 
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