Der Spott der kleinen Dinge

Altes Teil

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Altes Teil
 
Neulich ist mir das Mitleid eines Kindes zuteil geworden. Im Aufzug. Das Kind und ich, wir waren allein. Das Kind hat nicht gegrüßt. Es stand da und spielte mit einem Schlüsselanhänger in Dinoform. Dann sagte es plötzlich: »Du hast aber ein altes Handy!« Der Ton war von mitfühlender Traurigkeit. So, als wäre mein Hamster gestorben.
    Das Kind wohnt in der Dritten und stieg aus. Grußlos. In der Wohnung habe ich mir mein Handy angeschaut. Es ist einfach ein Handy. Ich mag es. Meine Frau hat es mir gegeben. Ich bin in diesen Dingen nicht sehr selbstständig. Sie sucht die Teile danach aus, ob ich sie beherrsche.
    Ich mag keine Sachen im Haushalt, die intelligenter sind als ich. Obschon in den wenigen, dann aber schweren Stunden ehelicher Zerrüttung meine Frau immer einen Gegenstand entdeckt, der es geistig mit mir aufnehmen kann. Zuletzt hat sie meinen IQ mit der Maschine verglichen, mit der sie Knötchen von Pullovern rasiert. Die ist handtellergroß und batteriebetrieben. Trotzdem haben wir uns wieder vertragen.
    Das Handy kann ich sehr gut bedienen. Ich kann anrufen, drangehen und SMS schreiben. Die Spiele spiele ich nicht, man verliert zu oft. Von den Klingeltönen gefällt mir keiner. Ich habe mich für einen ungarischen Tanz von Brahms entschieden, obwohl drei Töne falsch sind. Für den Fall, daß meine Frau anruft, habe ich einen VIP-Ton eingerichtet, Offenbachs Cancan. Meine Frau haßt Offenbach. Aber sie hört es ja nicht.
    Später ist man ja immer schlagfertig. »Als dieses Handy gebaut wurde, warst du doch höchstens eine fixe Idee deiner Eltern«, hätte man dem vorlauten Kind sagen müssen. Man nennt das Treppenwitz. Einen Witz, der einem erst beim Hinausgehen einfällt. Der Verfall dieser Kultur im Angesicht elektrischer Aufzüge ist offensichtlich.
    Am Abend war ich bei meiner Großtante. Sie ist 93 und liest noch täglich die Zeitung. Ich habe mich bei ihr ausgeweint, wie mich das Kind gedemütigt hat und so. Die 93-Jährige sagte, daß mein Handy »superflott« sei. Sie liebt Kraftausdrücke wie »super«. »Super« über mein Handy war aber so, wie wenn Hosenverkäufer zu Dicken sagen: »Sie sind ja eher stark.«
Ein Überkompliment.
Mir wurde klar, warum Diktatoren so oft Verwandte als Minister einsetzen. Dann habe ich mein Handy auf lautlos geschaltet.
 
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.