Günter Grass ist gestorben

Eine Verneigung

von Gerd J. Pohl

Günter Grass, 2004 Buchmesse Frankfurt am Main © Florian K - Quelle: Wikipedia

Günter Grass ist gestorben


Lieber Günter Grass,
 
87 Jahre sind Sie alt geworden und haben, so denke ich, ein überwiegend glückliches Leben führen dürfen. Literaturnobelpreisträger, ein Weltstar der schreibenden Zunft - was will man mehr? Ihre Schaffenskraft war bis zum Schluß ungebrochen, auch wenn Ihnen das Publikum in den letzten Jahren nicht mehr so zu Füßen gelegen hat wie zu Zeiten der „Blechtrommel“, von „Katz und Maus“ oder „Hundejahre“.
 
Zu Füßen gelegen habe ich Ihnen nie, aber ich habe Sie zutiefst bewundert. Die oben genannten Klassiker habe ich gelesen wie die meisten in meinem Alter, außerdem immer wieder Essays, Interviews, Ihre Prosa, „Beim Häuten der Zwiebel“ natürlich. Mein Wunsch, Sie einmal kennenlernen zu dürfen, ist leider nie in Erfüllung gegangen. Ihr graphisches Werk ist bewundernswert - gleich zwei Ihrer Radierungen hängen in meiner Wohnung, und das ist angesichts des wenigen Platzes an meinen Wänden schon überdurchschnittlich viel. Fühlen Sie sich geehrt, wenn Sie mögen.
 
Nicht immer war ich mit Ihren Statements zur Lage der Welt einer Meinung, aber Sie haben wenigstens den Mund aufgemacht und waren dabei nicht darauf bedacht, „everybody's darling“ zu sein. Für Ihr spätes Bekenntnis zur Angehörigkeit bei der Waffen-SS und für Ihre Israelkritik wurden Sie seitens der Medien geohrfeigt wie kein anderer Schriftsteller vor Ihnen - ich selbst habe Ihnen beides hoch angerechnet, ohne in den Applaus von falscher Seite eingestimmt zu haben. Er war es, der Sie in puncto Israel hat zurückrudern lassen, was klug und bedacht, meines Erachtens aber nicht unbedingt notwendig gewesen war. Man sollte sich nicht beirren lassen, nur weil auch Idioten im Publikum sitzen, so dachte ich damals.
 
Nun sind Sie gestorben und mit Ihnen einer der letzten alten Streiter unter den Intellektuellen, vielleicht sogar der letzte überhaupt. Ralph Giordano ist ja auch nicht mehr da - wer bleibt also? Die großen Sterne werden rar am deutschen Autorenhimmel.
 
Was bleibt, ist Ihr leuchtendes Vorbild - als Schriftsteller, als bildender Künstler, als Denker, als einer, der die Zähne auseinander bekommen hat. In typisch deutscher Manier werden jetzt, anläßlich Ihres Todes, alle möglichen und unmöglichen Leute anfangen, alte Rechnungen zu begleichen, die sie noch offen glauben. Das hat Sie im Leben schon nicht besonders beeindruckt, und im Tode wird Ihnen das sowieso schnuppe sein. Ihrem Lebenswerk kann niemand mehr was - und das ist auch gut so.
 
Eine herzliche Verneigung
seitens
Ihres
Gerd J. Pohl.
 
 

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