Der Spott der kleinen Dinge

Durchgefallen

von Lars von der Gönna

Durchgefallen
 
Neulich bin ich durch die Führerscheinprüfung gefallen. Von gegenüber kam eine Straßenbahn, von rechts ein grüner Lkw. Ich gab Gas, ich bog links ab. Ich fiel durch. Ich kann sehr gut mit Niederlagen umgehen. Wenn Versagen Gewohnheit wird, sinkt der Enttäuschungspegel mit entwaffnender Zuverlässigkeit. Ich habe beim Schulsportfest nie eine bedeutende Rolle gespielt, im Krippenspiel war ich der Hirte mit dem unwichtigsten Satz, meine Familie vergaß mich einmal auf dem Weg in die Skiferien an einer Tankstelle bei Lermoos und merkte es erst Stunden später. Solche Dinge schulen; über die Vorfahrt der Straßenbahn lachte ich nur.
    Die Führerscheinprüfung war ein Spiel. Freunde brachten es mit. Wir kicherten über meinen Verstoß gegen die StVO, und ich durfte meinen echten Führerschein behalten. Ich weiß nicht, wie ich ihn bekommen habe. Theorien sind die Hölle für mich, aber die größte von allen war die zum Führerschein. Mein Erzfeind war der Fußgänger mit Handwagen. Es gab ihn nicht, aber man mußte mit ihm rechnen. Für Theorien ist das normal.
    Der Freund, der das Führerscheinquiz mitgebracht hatte, sprach viel von Neuwahlen. Er ist in der FDP. Sie finden das vielleicht anstößig, wenn man selbst Verlierertyp ist und dann noch die FDP zu Besuch hat. Ich halte die FDP für verkannt. Das sind die wahren Piraten: haltlos, starke Standesmoral und in aussichtslosen Situationen besonders gefährlich.
    Ich fragte den Freund nach dem Ruhr-Soli. Er schwieg nachdenklich. Ich fragte nach dem Mann mit dem Handwagen. Der Pirat erläuterte, dieser habe Vorrang gegenüber Linksabbiegern. Beschämt bot ich ihm Salzstangen an. Der Pirat sagte knabbernd, der Mann mit dem Handwagen sei aus den Theoriefragen längst verschwunden. Ich dachte: Seltsam, daß man Dinge vermißt, die es nie gegeben hat.
 
 
 
© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.