Studium der Psychologie an der Uni Bonn

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Zum Semesterbeginn
Studium der Psychologie
an der Uni Bonn
 
Hochgeehrte Magifizenz!
Werte Eminenzen!
Liebe Suffizienzen und Insuffizienzen!
Geneigte Absenzen, gechillte Somnolenzen und kissenfüllende Flatulenzen!
Hochdoktorierte Demenzen oder wie war das mit dem Erinnerungsvermögen beim Chatzimarkakis? Oder hat der Schäuble selbst ihm im Zuge der Rettung Griechenlands schon mal den Doktortitel umgehängt, als Verdienst für die Einführung des Oxford-Zitierens, Sie wissen schon: erstmal abschreiben und dann wegen der besseren Lesbarkeit die Anführungszeichen und Quellenangaben vergessen, stört ja auch beim flüssigen Lesen, oder?
Vor allem aber:
Liebe junge neuakademische Hoch-Potenzen!
 
Ihr habts geschafft und dazu erstmal den Allerherzlichsten! Das sage ich jetzt vor allem als Alumnus, als immer noch begeisterter Hörsaal-1-Gänger dieser wundervollen Uni Bonn, an der mein Herz nach wie vor hängt, so wie ich weiß, daß auch Eures diese Uni im Leben nicht vergessen wird, weil sie was Besonderes ist.
Bei mir war es so:
Ich wollte mich in Wien gerade zum WS 65/66 einschreiben, da hörte ich, daß es für uns Südtiroler in Deutschland gebührenfreie Studienplätze gibt (Studienplätze, nicht Doktortitel!), weil sich damals ja alle in Österreich und in der BRD rührend um uns von den Italienern verfolgte Minderheit gekümmert haben. Ich war Nestflüchter oder, wie Adolf Portmann gesagt hätte: die klassische physiologische Frühgeburt, mir waren damals selbst in Wien noch zu viel Dolomiten, ich wollte nix wie weg.
Also überlegte ich: weg is klar, aber wohin? Berlin? Schon damals: NIEMALS!
Göttingen? Och nöö, der Hain war nicht mehr aktiv, was soll ich also da?
Hamburg? Dann lieber gleich zum Original nach Oxford.
Und dann kam ich an Infotmationen aus Bonn. In meinem Fach Psychologie war Bonn damals unglaublich hochkarätig besetzt: Thomae, Weinert, Fröhlich, Lehr, Däumling und dann: Vollmann, RUDINGER!!!...
Aber, um ehrlich zu sein, das hätte nicht den Ausschlag gegeben, das wäre mir damals egal gewesen. Den Ausschlag gaben Beethoven (ich wollte ja eigentlich Musiker werden und Ludwig ist bis heute einer meiner engsten Lebensbegleiter) und das Schloß vom Clemens August incl. seinem kleinen Jagdschlößchen in Poppelsdorf. Zwar waren damals auf dem Residenzschloß die vier Türmchen noch nicht wieder restauriert und das Ganze sah ziemlich abgesägt aus, aber das Gelb, die Hofgartenwiese und die grandiose Flucht Uni – Popp-Allee – Poppelsdorfer Schloß hatten es mir angetan. Bis heute bin ich ein Fan der Tieferlegung der Bahn, damit diese städtebauliche Perversion zugunsten einer schönen, großzügigen Vision, einer Restaurierung des barock-imposanten Blicks unter der Erde verschwindet, Bonn 21 quasi.
Hätt doch jet.
 
Und wenn wir schon den Bahnhof tieferlegen, können wir auch gleich das Carrée gegenüber, Bahnhofsvorplatz und Südüberbauung, den Malkasten incl. Verrichtungsboxen und das Festspielhaus unter die Erde verbannen, in Schiffe versenken war Bonn ja immer schon Weltmeister, oder?! Dann kämen die Kölschen mit der 16 nach Bonn ins Festspielhaus, könnten unterirdisch nach der Vorstellung abhauen und bräuchten sich mit Bonn gar nicht erst zu belasten! Ich schweife ab, Verzeihung.
Ich kam dann hierhin nach Bonn und war damit – und das ist das Besondere dieser Uni – nicht nur im akademischen Leben drin – ich bin z.B. mit ungeheurer Ausdauer in der UB gesessen, Tisch mit Blick auf den Rhein! Ja hat man das in Göttingen oder Berlin? Na also! und der damalige Jung-Bibliothekar Erhard Klein hat mir die bestellten Bücher ausgehändigt! Erhard Klein, der ein paar Jahre später die Uni verlassen hat um als Galerist in Bonn Kunstgeschichte zu schreiben: er war der erste, der Rückriem, Polke, Richter, Klauke in seiner Garagen-Galerie in der Königstrasse ausgestellt hat und kaum einer in Bonn hat es gemerkt!, er war einer der ersten Förderer von Beuys und er ist bis heute eine der großen Kunstnasen weltweit. –
Dann habe ich samstags gerne im Zeitungslesesaal gesessen und den Corriere della Sera gelesen, Blick auf den Hofgarten und überhaupt gebettet in ein räumliches und ästhetisches Luxusgefühl (was man im Rheinland nicht oft hat!)
Aber ich kam eben auch ins rheinische Universum. Und das ist sie, diese besondere Mischung der Uni Bonn: sie ist eine weltoffene Alma Mater, liegt aber geborgen im schützenden rheinischen Raum, wo man auf alles eine Antwort, für alles einen Trost, gegen alles ein Heilmittelchen hat und mit jedem per Du ist („Och Jung, bisse durchjefallen? Komm, tu dir ierschtens e Kölsch, dann gucken mir weiter“).
Selbst in härtesten Zeiten hat sich diese Mischung immer bewährt.
1967: Rudi Dutschke kommt! Er wird im Arkadenhof sprechen. Revolution ist angesagt.
Wir sind – natürlich – alle da, da ist kein mm Platz mehr, RCDS und die Jungliberalen müssen draußen bleiben, gucken dann aber doch aus dem Fenster vor dem Philosophischen Seminar. Endlich: ein Raunen geht durch die Masse: Dutschke is da. Er stellt sich in die offene Tür vor der großen Garderobe, die Luft ist elektrisch geladen: wird die Uni dulden, daß er hier spricht oder müssen wir mit einem Polizeieinsatz rechnen?
Dutschke hat eine Parka an. Da stellt sich eine der Damen von der Garderobe hinter ihn und sagt: „Kann ich der Mantel haben? Et wird Ihnen sicher warm beim Sprechen!“, nimmt den Mantel, drückt Dutschke eine Garderobenmarke in die Hand und dat wor et dann! Keine Polizei, keine Wasserwerfer – eine rheinische Garderobenfrau hat dem Berliner Revolutionär den rheinischen Weg gezeigt! Und er hat die Garderobenmarke genommen!
Ich war natürlich auch Revolutionär, klar. Zusammen mit den Aktivisten vom SDS am psychologischen Institut fingen wir 1967 an, für den Institutsrat zu agieren und für studentische Mitverantwortung, normal.
 
Im Zuge dieser Aktivitäten kam es natürlich wiederholt zu dem, was man damals Sit-In nannte, zu Sitzstreiken. Je nach der Reaktion der Ordinarien waren das auch Ereignisse, die nicht ungefährlich waren oder die – bei genügend Gegenenergie – in Institutsbesetzungen mündeten. Jede Tür, jedes Fenster war mit Wandzeitungen beklebt - Motto: Von Mao lernen! – es war eine extrem papierintensive Zeit, wunderbar.
Der Herr Bauer – damals einer der populären Hausmeister, weil er im studentischen Filmclub immer gut dafür war, daß die Filme an entscheidenden Stellen – das waren Stellen, die ihm nicht passten – riß! – der Herr Bauer lief jeden Tag fluchend und schimpfend über dat dreckelije Studentenpack durch die Gänge zum Hörsaal E und riß die Zeitungen von der Wand. So waren natürlich auch wir Psychologen voller revolutionärer Hoffnung auf Widerstand seitens der Professoren und organisierten – zur Durchsetzung der studentischen Mitbestimmung – voller Grimm die Institutsbesetzung, die natürlich erstmal mit einem Sitzstreik auf der Treppe zum Institut beginnen sollte. Wie erwartet, war das Institut abgeSchloßen.
 
Kommilitone Marquardt aus Brühl, als langmähniger Oberrevoluzzer DER Mädchenschwarm schlechthin, aber eben auch Rheinländer, ging zur Tür, rüttelte daran und sagte:
„Alles bestens! Die Tür es zo! Also dann!“ und wir freuten uns schon darauf, mit Gewalt die Hütte zu stürmen, die die feigen Professoren vor uns offensichtlich verbarrikadiert hatten.
Wir formieren uns quasi schon zur Phalanx, da öffnet sich plötzlich die Tür von innen, Prof. Däumling steht vor uns und sagt in freundlichstem Ton:
„Geh bitte kommens doch herein, sie holen sich ja sonst was, wenn’s da so in der Kälte stehen!“ Vollkommen verdutzt folgten wir ihm ins Institut und fingen mit den Profs, die im kleinen Hörsaal schon warteten, eine freundliche Diskussion an. Selbst wenn Däumling Bayer war – woanders als im Rheinland wär das nicht so gelaufen, das schwör ich Ihnen. Und wenn ich mich recht erinnere, sind wir mit unseren Forderungen relativ gut durchgekommen.
Das meine ich, wenn ich vom Besonderen an der Bonner Uni spreche: sie ist der heiter-gelassene Beweis dafür, daß Wissen erwerben auch Spaß machen kann und daß man hier im Rheinland neben dem Studium auch eine Menge fürs Leben lernen kann!
 
 
Das ist das eine. Jetzt möchte ich aber auch als Elternvertreter noch kurz was sagen dürfen:
Also: Schön, prima, ihr habts geschafft, jetzt seid ihr Akademiker und überhaupt und wunderbar, toll, könnt euch ein schönes Keks für kaufen. Aber gerade jetzt, wo ihr fertig geworden seid, ist es Zeit, mal an uns zu denken, uns, eure Eltern.
Also kurz gesagt isses so: da hat man Euch gewickelt, hat Fläschchen gemacht mit Hektolitern von Babynahrung, hat Euch second-hand-Klamotten gekauft, weil Ihr aus allem so schnell herausgewachsen seid, hat Euch in die Schule gefahren, hat Euch abgeholt, war über Jahre hin nachmittags als Taxifahrer unterwegs, um Euch von Termin zu Termin zu bringen, hat ätzende Elternabende besucht wo man stundenlang auf Erstklässlerstühlchen sitzen mußte und mit krummem Rücken nach Hause kam, hat jahrelang Schulfeten mit Kuchenblechen und Tabletts voller Pizza zugepflastert, hat Eure Schwärmereien für Leonardo di Caprio oder wer immer es war, ertragen, hat Telefonrechnungen bezahlt, wenn Ihr, kaum aus der Schule zuhause, sofort Eure beste Freundin, von der Ihr Euch eben verabschiedet habt, angerufen habt um mit ihr stundenlang zu klönen und dann, wenn es schön werden könnte, wenn Ihr ein bißchen was von all dem zurückgeben könntet, so nach dem Motto: Bleibt ruhig liegen Mami & Papi, ich mach Euch Frühstück „Café au lit“, dann macht Ihr Examen und haut ab. Das soll schön sein?
Aber gut: auch wir Eltern haben heute Grund zu feiern: wir sind Euch los, jetzt wird’s Euch das Leben zurückzahlen. Darauf gibt’s für uns Alten eine Lage Kurze, aber hallo!
 
In diesem Sinne
Ihr/Euer
Konrad Beikircher
 
Redaktion: Frank Becker