Noch mal abheben

„Heiße Zeiten“: Wechseljahre-Revue im Wuppertaler Tic-Atelier

von Martin Hagemeyer

Noch mal abheben
 
„Heiße Zeiten“: Wechseljahre-Revue
paßt auch ins TiC-Atelier
 
 
Inszenierung: Ralf Budde - Musikalische Leitung: Stefan Hüfner - Choreographie: Agneta Hanappi - Bühne: Janosch Plaumann - Kostüme: Darko Petrovic - Maske: Heike Kehrwisch Regieassistenz: Alexander Lurtz
Besetzung: Die Karrierefrau: Dorina Joch / Elisabeth Wahle – Die Vornehme: Sabine Henke / Natascha Neugebauer – Die Hausfrau: Karolin Hummerich / Annika Tahiri – Die Junge: Lara Postler / Nadine Thiele
Buch und Dialog: Tilmann von Blomberg - Liedtexte: Bärbel Arenz - Arrangements: Carsten Gerlitz
 
Mädelsabend
 
„Auf die Rolle zum Mädelsabend“ – ist das als Pendant zu „Mit den Jungs um die Häuser ziehen“ eigentlich schon so alt, daß die ersten Damen jetzt in die Wechseljahre kommen? Zur TiC-Premiere „Heiße Zeiten“ war das eigentlich unerheblich, denn im Publikum tummelten sich gutgelaunte Damen und (ihre?) Herren jeden Alters. Recht so: Irgendwie betroffen von dem Thema sind die meisten Menschen ja doch irgendwann einmal, direkt oder indirekt – und heute einmal sehr vergnüglich.
„Heiße Zeiten“, die Revue ums Klimakterium, ist ein Stück, das schon als Show-Produktion mit fixer Besetzung quer durchs Land getourt ist. So erfolgreich, daß das Autorenteam inzwischen eine Fortsetzung Höchste Zeit geschrieben hat, die ebenfalls die Hallen füllt. (Erst im Mai gastierte „Höchste Zeit“ mit Star-Besetzung in Remscheid und im Juni für vier Wochen en suite in Essen.) Das Rad neu erfunden hat Ralf Budde mit seiner Inszenierung fürs Haus-Ensemble da nicht. Dafür aber bleibt kein Zweifel: Im TiC mit den Bedingungen des „Ateliers“ in Unterkirchen klappt die Adaption bravourös.
„Die Karrierefrau“ (Elisabeth Wahle), „die Vornehme“ (Sabine Henke), „die Hausfrau“ (Karolin Hummerich) und „die Junge“ (Lara Postler) (Premierenbesetzung) - das sind vier Frauen nach oder gefährlich nahe an der Menopause, die sich am Flughafen Richtung New York begegnen. Motto: Zufallsbekannte – Zweckgemeinschaft – Leidensgenossinnen. Alltime-Disco-Standards von Gloria Gaynor bis zu den Weather Girls werden flugs umgetextet und bringen so die Versuche zum Klingen, mit dem Unvermeidlichen umzugehen, dem Altern also – und gar so viele gibt es da ja nicht: Ignorieren, klein beigeben, das Beste draus machen ... so ungefähr.
Fast nonstop reiht sich im TiC nun Hit an Hit – sogar arg dicht zuweilen. Kaum kommt etwa der „Vornehmen“ die erste Spöttelei gegen all die nicht so Abgeklärten über die Lippen, schon liefert ihr Solo den erklärenden Kommentar dazu: „Contenance statt Eskapaden!“, das scheint ihr beim erbarmungslosen Gang der Zeit die einzig würdevolle Devise.
 
Ideen-Füllhorn
 
Hübsche Bühnenideen sind bei alldem zu sehen zwischen den Liedern, seien sie nun fürs TiC erfunden oder nicht: Beim ersten Auftritt bleibt jede Dame sekundenlang unter dem Metall-Scanner stehen, zur Kurzvorstellung durch die einzig männliche Stimme des Abends: den leicht gemeinen Flughafen-Lautsprecher. Nummer eins, „hatte gestern Sex“, Nummer zwei, „hatte gestern keinen Sex. Vorgestern auch nicht.“ Zur Pause, als der Abflug sich verzögert, werden die Drinks zur Entschädigung im Bühnenhintergrund per selbstfahrendem Servierwagen mit Wunderkerzen kredenzt. Und schon als die Damen erstmals nebeneinander auf der Wartebank Platz nehmen, verschwinden die Mienen witzig hinter Zeitungen, die Bände sprechen: zwischen FAZ, „Handelsblatt“ und „Brigitte“ bei ihren Nachbarinnen zieht die „Hausfrau“ ergebenen Pragmatismus vor – und hebt die „Apotheken-Umschau“ vors Gesicht.


v.l.: Sabine Henke, Karolin Hummerich, Elisabeth Wahle, Lara Postler - Foto © Martin Mazur

Am wichtigsten aber natürlich: die Hits und Hymnen, clever umgeschrieben und mit Hingabe gesungen (wenn auch in den gemeinsamen Passagen manches nicht ganz auf einer Linie klang). Oft im komischen Kontrast: „What A Feeling!“, einst euphorischer Titelsong im Film „Flashdance“, gerinnt zähneknirschend zum Lamento „Depressionen!“. Erheblich komisch: Das nächste Lied zum Gebrechen – „In-kon-ti-nenz“ statt „Stand By Your Man“. Und zur Melodie von „I Got You Babe“ hat romantisches Geplänkel á la Sonny & Cher heute natürlich ausgedient und wechselt grausam zum Gedächtnisschwund, kurz: „Hab's vergessen“.
 
Akrobatik auf der Airport-Bar
 
Last not least: Spaß machen die Lieder beim Zuhören, schon beim Erkennen sehr, ja – aber sie helfen auch durchaus ernsthaft beim Verständnis für die vier Frauentypen. „Karrierefrau“ Elisabeth Wahle röhrt „Sex Bomb“ zu spektakulärer Akrobatik auf der Airport-Bar und bekennt sich so trotzig weiter zum Lustprinzip. Und bei „Every Breathe You Take“ in der Version „der Jungen“ Lara Postler bekommt noch die Torschlußpanik plötzlich einen Hauch von stiller Größe.
Am Ende haben sie alle ihren Frieden mit der Situation gemacht, jede auf ihre Weise. „Die Hausfrau“ schließlich hätte ums Haar auf den Flieger verzichtet, doch nach der Kurzvisite zu Haus siegt (zum Glück) doch noch zerknirschter Galgenhumor: „Ihr Verlobter kämpft um Sie. Mein Ehemann kämpft nur mit der Spülmaschine.“
 
Weitere Informationen:  www.tic-theater.de