Sterbetage

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Sterbetage
 
Ich habe schon viele Sterbeprozesse miterlebt. Meistens sah ich die Sterbenden einige Tage vor dem Ende. Jetzt, mit Herbert, erlebe ich einen wochenlangen Prozeß, bei dem die Abwägungen von allen Seiten kommen. Er ißt ja nichts mehr, und künstliche Nahrungszufuhr hat er auch nicht vertragen. Das Krankenhaus hat ihn an die Kurzzeitpflege abgegeben. Dort hat ein Arzt der Ehefrau gesagt, im Krankenhaus habe man die falsche Ernährung praktiziert.
Aber, wenn man nichts mehr unternimmt, ist es in aller Kürze zu Ende.
Wir hatten den Eindruck, daß ihn nur die Schwäche vom Essen abhält, und die kommt wahrscheinlich von den vorausgegangenen Operationen. Wenn wir mit Herberts Frau sprechen, findet sie kein Ende mit der Schilderung immer neuer Aspekte.
Es ist bewegend, zu sehen, wie sie Herbert bei jeder Bewegung oder Handreichung herzt und küßt. Auch meine Hände hat er gestreichelt.
Ich sagte am Telefon zu ihr: Es gibt immer einen letzten Versuch.
 
 
© Karl Otto Mühl