You are so beautiful (to me…)

„Fettes Schwein“ von Neil LaBute im TiC-Theater

von Frank Becker

You are so beautiful
(to me…)
 
 „Fettes Schwein“
von Neil LaBute
 
Regie: Julia Penner – Bühne: Janosch PlaumannKostüme: Mariola Kopczynski 
Besetzung: Alexander Bangen (Tom) – Kristina Molzberger (Helen) – Benedikt Fiebig (Carter) – Charlotte Reinke (Jeannie)
 
Neil LaBute hat sein Theaterstück „Fettes Schwein“ als Komödie bezeichnet. Das Programmheft des TiC-Theaters, das gestern Abend das Drama in seiner ambitionierten Reihe „Starke Stücke“ unter der Regie von Julia Penner aufführte, hat auf diese gefährlich einfache Einordnung verzichtet.
Denn wer hier eine Komödie erwartet hat, anfangs auch durch allerlei liebenswerte, freche und anzügliche Scherze und amüsante Plaudereien und Pointen in amüsierte Sicherheit gewiegt wurde, dem bleiben die Lacher spätestens im zweiten Teil der spürbar gestrichenen Fassung im Hals stecken. Genau das ist auch das Anliegen Neil LaButes. Was in knapp 90 Minuten über die Bühne geht, ist nichts als ein dem Publikum vorgehaltener kristallklarer Spiegel, in dem es sich nur ungern wiedererkennt. 
 
Die Geschichte: In der Mittagspause lernt ein gutaussehender, sportlicher Mann in den besten Jahren (ausgezeichnet Alexander Bangen als Tom) am Stehtisch eines Imbisses eine wirklich mächtig dicke, sympathische junge Frau (berührend und charakterstark Kristina Molzberger als Helen) kennen, die ihm trotz ihrer Körperfülle durch ihr Lachen gefällt. Er knabbert an einem Salat, sie vertilgt drei Stücke Pizza, Knoblauchbrot und Pudding. Von nichts kommt nichts. Aus erst flüchtigem Geplauder wird ein Flirt. Alexander Bangen überzeugt mit gekonnten Halbsätzen und zunächst jungenhafter Leichtigkeit als etwas zerstreuter, sich zunehmend für die dicke Frau begeisternder Mann. Sein unsicheres Interesse wirkt echt, der Wunsch, sich zu verabreden, wird von ihr ohne Zögern angenommen. So einen flotten Burschen mit Humor wird sie vielleicht nie wieder bekommen. Kristina Molzberger gibt die Figur der scheinbar in sich und ihrer Fülle ruhenden Helen mutig - für die mehr als vollschlanke junge Schauspielerin eine ans Innerste gehende Herausforderung.


Alexander Bangen, Kristina Molzberger - Foto © Martin Mazur

Von der Unmöglichkeit ehrlich zu sein
 
Aus dem Flirt wird ein Verhältnis, das Tom vor den Kollegen zu verbergen sucht – und spätestens hier beginnt das Unbehagen beim Betrachter und den Betroffenen aufzusteigen –, weil er den ätzenden Spott von Carter (echt fies Benedikt Fiebig) und das Unverständnis seiner ebenso ranken und schlanken wie eifersüchtigen Ex Jeannie (verletzend schnippisch die kurzfristig eingesprungene Charlotte Reinke) nicht ertragen könnte. Sich einfach zu dieser dicken Freundin zu bekennen, wäre der entscheidende Schritt. Das kann er nicht, „noch nicht“. Glaubt er. Ja, doch, er glaubt, daß er es will. Aber Oberflächlichkeit und Vorurteile sind eine gute Basis für Schmutzkampagnen und so dauert es nicht lange, bis das von Carter und Jeannie als Mesalliance empfundene Verhältnis Bürogespräch und er deswegen verspottet wird. Tom muß sich der allgemeinen Häme stellen und sich bekennen, was er evasiv und defensiv auch versucht. Das „wir“ im Bekenntnis seiner Leidenschaft (nicht Liebe) kommt ihm nur schwer über die Lippen. Alexander Bangen bewegt sich gekonnt auf einem ganz schmalen Grat der Unsicherheit. Man kann es greifen: hier ist einer allen frommen Wünschen entgegen mit dem Weg todunglücklich. Wie Tom Mal um Mal eine echte Liebeserklärung vermeidet, geht an die Nieren.


Alexander Bangen, Kristina Molzberger - Foto © Martin Mazur

Die Pointen und Lacher, die zu Beginn aus der Geschichte tatsächlich eine Komödie zu machen scheinen, sind spritzig und punktgenau angelegt, und trotz mitunter recht derber Sprache entwickelt sich anfangs ein beinahe zartes Kammerspiel. Das schlägt aber bald und spürbar um, man steckt mit den Protagonisten in einem sich zuspitzenden psychologischen Drama. Carters starkes Solo über seine peinlich dicke Mutter offenbart seelische Abgründe (ansonsten bleibt Benedikt Fiebig etwas flach). Der Witz kippt und schlägt fürchterlich um.
 
Unter dem Strich: eine Tragödie
 
Ein Haufen Unglücklicher geistert über die Szene: Tom, der sich nicht zu seiner dicken Freundin bekennen kann, weil er es im Grunde gar nicht will, sich stets mit ihr versteckt, auch in intimen Situationen ängstlich Abstände aufbaut, immer deutlicher spüren läßt, daß eine ganze Welt zwischen ihnen steht und sie am Schluß wegen dem Gerede „der Leute“ verläßt; Carter, der aus eigener Unsicherheit alles um sich herum in den Dreck zieht („Wer hat denn gesagt, wir sind auf der Welt um nett zu sein? Wir hassen, wovor wir Angst haben, weil wir so sein könnten: Schwuchteln, Idioten, Krüppel, Fette, Alte.“), und der unter seiner Unzulänglichkeit und der Unfähigkeit, seine eigene fette Mutter zu lieben leidet wie ein Tier; Jeannie, die 33 Jahre alt ist, immer nur Trostpreise abbekommen hat und haßerfüllt nicht begreifen kann, wieso er nicht sie nimmt, sondern „so ein fettes Schwein“; schließlich Helen, die mit ihrem Leben ausgesöhnt zu sein scheint, doch unter ihrer selbst verschuldeten Leibesfülle leidet. Lebensträume zerplatzen, Ängste, Feigheit und die Unfähigkeit zu lieben geben eine pessimistische Perspektive aufs Leben. Anspruchsvolles Theater.
 
Weitere Informationen: www.tic-theater.de