Zauberhaft und überzeugend

Tinka Fürst ist „Das kunstseidene Mädchen“

von Frank Becker

Screenshot Facebook - Foto © Sebastian Eichhorn

Tinka Fürst
ist
Das kunstseidene Mädchen
 
Premiere am 15. September 2015 im Theater am Engelsgarten
 
Mit: Doris/Dodo: Tinka Fürst – Hubert (in Video-Einspielungen): Uwe Dreysel
Konzept: Tinka Fürst und Helene Vogel – Regie: Helene VogelBühnenfassung: Tinka Fürst – Videos: Tinka Fürst, Phillip Zwanzig
 
Wann haben Sie, liebe Leser und Theaterfreunde, im Theater zum letzten Mal die Zeit nicht gespürt – genauer: erst nach 90 Minuten auf die Uhr geschaut, (sich) erstaunt und beinahe enttäuscht gefragt: „Schon?!“ Tinka Fürst bescherte gestern Abend vor nahezu ausverkauftem Haus ihrem Publikum im Wuppertaler Theater am Engelsgarten mit ihrer „Visitenkarte“ und Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“ einen solchen atemberaubenden Theaterabend.
Der Stoff ihres Solos, der legendäre Tagebuchroman der Berliner Schriftstellerin Irmgard Keun (1905-1982), Charlottenburgerin wie auch Tinka Fürst, spiegelt das Lebensgefühl eines in der Großstadt scheiternden jungen Mädchens aus einfachsten Verhältnissen, von „ganz unten“ in den 1920er Jahren. Ihre hochfliegenden Pläne, Künstlerin zu werden und ihr bemessener Horizont, sich als Statistin mit einem Satz schon für eine solche zu halten, haben viel von den aktuellen GNTM-, DSDS-Illusionen vieler ebensolcher Mädchen von heute. Mit viel Witz und genau dem richtigen Gefühl für die Umsetzung ins Heute hat Tinka Fürst die Aufzeichnungen der Doris à jour gebracht, augenzwinkernd behutsam sprachlich und digital der Facebook-Generation angepaßt und doch das Zeitkolorit des Originals nicht angetastet. Hilfreich sind dabei u.a. Projektionen aus Walther Ruttmanns Berlin - Die Sinfonie der Großstadt und der Einsatz von Schlagern wie Lilian Harveys rührendes „Irgendwo auf der Welt (gibt´s ein kleines bißchen Glück)“.
Voller Spannung und von spürbarer innerer Bewegung verfolgt das von weither angereiste Publikum, darunter Anna Jansen aus Hamburg, Dokumentarfilmerin Britta Schoening und Lukas Stopczynski aus Stuttgart und Video-Filmer Phillip Zwanzig aus Berlin das unter die Haut gehende Geschehen auf der schlicht gehaltenen Bühne, fiebert mit, wünscht Doris/Dodo einen glücklichen Ausgang - allein, da steht der Roman vor. Es darf, bis auf das ganz kleine, vergängliche Glück des Augenblicks zwischendurch, nicht sein.
Tinka Fürst zeigt sich unerhört wandelbar (und flink im Extemporé), beherrscht jede Emotion, tanzt, rapt, kokettiert, albert, leidet, liebt, ist schwach und stark, schlau und dumm, bieder und frivol, frech und kleinmütig, selbstbewußtes Provinz-Mädel hier, voller Selbstzweifel dort, Flittchen, Vamp und Hausmütterchen. Eine wunderbare Schauspielerin, einnehmend, präsent und überzeugend.
Wer gestern nicht dabei sein konnte, sollte sich einen Platz für einen der beiden folgenden Abende von „Das kunstseidene Mädchen“ sichern. Dafür, daß Sie einen Theaterabend von Rang erleben werden, übernehme ich die Garantie. Auch die Lektüre der Romanvorlage ist übrigens zur Vertiefung unbedingt zu empfehlen. Für ihre schauspielerische und konzeptionelle Leistung geben wir Tinka Fürst gerne unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
 
Weitere Vorstellungen am 9. Oktober und 15. November 2015
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Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de