Loni in der Kleinstadt

Lili Grün – „Zum Theater!“

von Frank Becker

Loni in der Kleinstadt
 
Haben nicht alle jungen Schauspieler irgendwann mal in der Provinz angefangen? Die 18-jährige Wiener Modistin und Schauspielschülerin Loni Holl bekommt ihre Chance durch die Zuneigung und Protektion des Regisseurs Peter Spörr, der sie zu einem Gastspiel in der unbedeutenden Kleinstadt Mährisch-Niedau engagiert, wo es immerhin ein Stadttheater gibt. Das erste Mal auf einem Theater-Plakat – ein Traum wird für Loni wahr! Zwar scheitert die Debütantin in ihrer ersten Rolle als Hannele in Hauptmanns „Hanneles Himmelfahrt“, doch durch den Trost wohlwollender Kollegen und die „große Liebe“, die sie in Gestalt ihres launischen Gönners Spörr zu finden glaubt, wird die erste Pleite überwunden und durch glanzvolle Auftritte in „Der Widerspenstigen Zähmung“ ausgebügelt.
 
Mit der herzigen Loni und durch Lili Grüns lebendige Sprache taucht der Leser in eine wie schwebende Atmosphäre zwischen Boheme und Bürgertum ein, zwischen Kleinstadt-Realität und Schauspieler-Träumen, Idealen und Wirklichkeiten. Lili Grün schöpft hier aus den eigenen Erfahrungen als Schauspielerin sowie aus dem selbst erlittenen Leiden arger wirtschaftlicher Not, nur noch von Hoffnung gespeist. Sie zeichnet treffsicher greifbare Charaktere, mißt ihnen Dialoge und Gedanken paßgenau und pointiert an und entwickelt eine Handlung, die zwar oft genug haarscharf am Groschenheft-Kitsch vorbeischrammt, aber eben doch vorbei. Und so folgt man mit großem Mitgefühl dem Schicksal des Mädchens, das während seiner ersten Spielzeit in der Provinz reift, ohne wirklich erwachsen zu werden. Das Leben einer jungen Schauspielerin ist kein Zuckerschlecken, lernt man, doch nichts Schöneres können sich sie und ihre jungen wie alten Kollegen vorstellen – und so wird es wohl bis auf den Tag sein. Kräche und Solidarität, Eifersüchteleien und kollegiale Hilfe, Affären und Enttäuschungen, besonders aber der Zusammenhalt der Truppe, wenn es darauf ankommt, markieren den Alltag an dem Theaterchen, in dessen Treppenhaus es nach Kohl riecht – und dessen wohlwollender Kritiker des „Mährischen Anzeigers“ Dr. Liebig, im Hauptberuf Advokat und Notar, sich insgeheim nach diesem Leben, vor allem aber nach der Gunst der Schauspielerinnen sehnt.
 
Lili Grün erzählt das alles bis hin zum Happy End nach turbulenten Ereignissen so charmant, daß man sie dafür einfach so lieb haben muß wie ihre Figur der Loni Holl.
Der Roman erschien nach einem Vorabdruck im linksliberalen „Wiener Tag“ zum ersten Mal 1935 unter dem ursprünglichen Titel „Loni in der Kleinstadt“ beim Zsolnay Verlag. Der AvivA Verlag, der sich verdienstvoll der Wiederentdeckung des schmalen Werks der wunderbaren Lili Grün angenommen hat, gab dem Roman aus plakativen Gründen einen neuen Titel. Das ist zwar nachvollziehbar, aber doch ein wenig schade.
Unbedingt lesenswert ist das Nachwort der Herausgeberin Anke Heimberg, durch das man der traurigen Biographie Lili Grüns nahe kommt.
 
Lili Grün – „Zum Theater!“
Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Anke Heimberg.
© 2011 AvivA Verlag, 216 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen  -  ISBN 978-3-932338-47-2
18,00 €
 
Weitere Informationen:  www.aviva-verlag.de