Klingeltöne und andere Alpträume

Schauspielhaus Düsseldorf - "Ein gewisser Monsieur Plume"

von Frank Becker


Ein gewisser Monsieur Plume

Eine Gedankenmusik von Henri Micheaux


Inszenierung: Joachim Schlömer - Bühne: Jens Kilian - Kostüme: Tina Kloempken - Dramaturgie: Henrik Bien - Stuntkoordination: Tanja de Wendt - Licht: Jean-Mario Bessière - Musik: Giacinto Scelsi -
Fotos: © Sebastian Hoppe/Düsseldorfer Schauspielhaus
Besetzung: Millionär: Michael Abendroth - Kellner: Michele Cuciuffo - Missionar: Denis Geyersbach - Firmenbesitzerin: Anke Hartwig - Plume Horst Mendroch - Tänzerin: Kathleen Morgeneyer - Anarchist: Ilja Niederkirchner - Kapitän: Pierre Siegenthaler - Pianist: Marin Petrov


Ausgrabung


Der Surrealist Henri Micheaux (1899-1984), ein Exot auch unter seinen Zeitgenossen und in der Theaterlandschaft heute ein Verschollener, ist Objekt einer Ausgrabung geworden: Das Düsseldorfer Schauspielhaus zeigte in seinem Kleinen Haus gestern Abend die Premiere einer musikalischen Textcollage, die
Joachim Schlömer und Andrea Schwieter aus Micheaux´ Prosatexten "Un Certain Plume" (1930), "Poteaux D´Angle" und "Qui je fus" mit Musik aus Giacinto Scelsis "Cinque Incantesimi" und "Quattro Illustrazioni" zusammengestellt haben.
Die Zeit der Absinth-Dichter schwang noch nach, als Micheaux die Szenen um seine mit ungläubigen Augen die Welt betrachtende und auch im Unglück liebenswert duldsame Kunstfigur (Plume = Feder) schuf.  Alles Mißgeschick ereilt ihn, der doch nur in Frieden seinen Käsekuchen essen möchte - doch während sich um ihn herum die These John Hobbes´ erfüllt: "Homo homini lupus", bleibt der kleine Herr Plume gelassen und wischt in braver Ordentlichkeit auch noch den letzten verbliebenen Krümel von der blendend weißen Tischdecke.

Mendroch Idealbestzung


Mit Horst Mendroch hat Regisseur Schlömer die Idealbesetzung dieses introvertierten Bürgers gefunden, den man
im Programmheft zu Recht als Anti-Helden beschrieben findet. Ein wenig verwirrt und nicht in der Lage, sich auch nur gegen den Kellner durchzusetzen, der ihn im Restaurant bedient (oder ist eigentlich Plume der, der hier bedient, nämlich die Existenzberechtigung des Kellners?), bleibt ihm die Position des Beobachters. Beobachters des eigenen Schicksals notabene. Wäre er nicht so still und evasiv, böte sich ein Vergleich mit den Figuren an, die zu der Zeit, als Micheaux seine Text schrieb, Charlie Chaplin für die damals so beliebten Slapstick-Filme verkörpert hat. Denn Monsieur Plume (warum ist er ein Däne? - diese brennende Frage steht noch im Raum und harrt ihrer Antwort) greift nicht ein. Zweimal monologisiert Mendroch - zu Beginn und am Schluß - und hat damit das dazwischen quälend wortlastige Stück in der Hand. Brillant zwar von allen Beteiligten umgesetzt, allen voran Mendroch, der nicht nur die Lacher in dieser Inszenierung einheimst, Cuciuffo und Siegenthaler, liegen die endlosen Text-Würmer der szenischen Collage schwer im Magen. Das Auge und das Ohr sind von der Inszenierung bis zur Grenze der Aufnahmefähigkeit gefordert, denn will man sich auf die Worte des einen konzentrieren, geschieht an anderer Stelle der Bühne etwas anderes Bedeutsames.

20.00 Uhr, Reihe 14 Mitte

Fast hatte ich schon geglaubt, die Pest, der Alptraum, der jahrelang Theatervorstellungen und Konzerte zertrümmernden Mobiltelefon-Töne sei ausgerottet. Doch die Dummen (oder Wichtigen?) werden nicht alle. Als ziemlich genau um 20.00 Uhr sehr lange das Mobil-Telefon einer Blondine
in Reihe 14, Mitte in die Aufführung einbrach, war man fast geneigt, die Melodie des Klingeltons für einen Teil der Inszenierung zu halten, weil die Darsteller das so elegant überspielten. Es war aber wieder mal nur einer der Alpträume eines Ensembles. Solche allerdings durchleben, durchtaumeln auch die Figuren des Stücks -  beeindruckend die von Tanja de Wendt koordinierte Bausch-nahe Tanzsequenz mit Kathleen Morgeneyer und Ilja Niederkirchner. Apropos Töne: Am Klavier leistet Marin Petrov mit akzentuiertem Anschlag einen wichtigen Beitrag
zur "Gedankenmusik" Micheaux´. Und für den mitunter ungeschlachten Humor ist ebenfalls Ilja Niederkirchner zuständig, der sich mit seiner ganzen Physis wörtlich in die Szene wirft.

Allein in der Welt


"Ich bin nicht allein in der Welt", sagt der Protagonist irgendwann gegen Ende. Ist er aber, fühlen alle, die ihm zuhören. Und fühlen vielleicht in eben dieser Sekunde ihre eigene Isolation. "Wehe dem, der sich zu spät entscheidet - der erst noch seine Frau fragt oder erst noch einkaufen geht..."  - eine deutliche Warnung. "Im Flachland wird um Hügel gefeilscht" - ein witziges Aperçus. 2 Stunden, keine Pause! warnt das Programmheft. Ein Segen: nach 95 Minuten war es vorbei. Und noch zu lang. Joachim Schlömer wäre gut beraten, noch einmal Schere  und Nadel einzusetzen und einige Abnäher an diesem interessanten Stück zu machen. Monsieur Plume wird ihm das nicht übel nehmen - und die Theaterbesucher werden es ihm danken. Plumes Bemerkung: "Wenn ich einen Autor nicht verstehe..." sorgte für herzliche Zustimmung beim Publikum. Eine Straffung würde vielleicht zu einem besseren Verständnis führen. Doch: Allein um Horst Mendroch in dieser Rolle zu erleben, sollte man sich eine Karte sichern. Die nächsten Vorstellungen sind am 5., 10., 11. und 28.2.07.

Weitere Informationen unter: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de