Büttenrede

von Horst Wolf Müller

Foto © Frank Becker

Büttenrede

Ich wurde am 27. Januar 1934  in Oberpeilau geboren, es war gegen ein Uhr abends, erblickte als Sohn des Porzellanmalers Adolf Jung und seiner entsprechenden Frau oder auch meiner Mutter, was in diesem Falle dasselbe ist, namentlich Adele Suckert, das Licht der Welt. Und zwar im Spital der Klarissinnen, was weibliche Mönche sind und eigentlich sehr vorsichtige Leute im Vorgehen, aber sie haben eben nicht die richtigen Voraussetzungen für so eine Geburt, und den richtigen Dreh finden sie nicht immer als­bald, das ist das Zölibat.

Ich hatte einen Fehler abgekriegt, indem der linke Hüftknochen zu breit ausfiel, aber in der Familie lag das nicht. Der jewei­lige Doktor unseres Hauses meinte, das wächst sich aus, was dem sein Gerede ist und hat sich auch bis heute nicht gelegt, sondern das Gegenteil. Hauptsache der Mensch bleibt gerade, sagte der Pfarrer, aber er bedenkt nicht den Eigennutz im weiblichen Geschlecht. Dennoch steht heute dank geraden Voran­schreitens meine zweite Verlobung auch schon vor der Tür. Aber sonst bin ich noch mal mit dem Leben davongekommen und war auch höchste Eisenbahn. Meine Tante Julia, die auch an der Geburt teilnahm, sagte gleich impulsisch: welches entzückende Kleinkind - sie hat ein halbes Jahr in einer Mädchenpensionie­rung zugebracht und kann sich ausdrücken. Singen kann sie notgedrungen auch. Was sich dann demzufolge nach meiner Geburt abspielte, wissen wir alle nicht, weil meine Mutter, gleich nachdem sie mich an die Luft gesetzt hatte, das Bett hüten mußte und mein Vater, der hatte sich schon vorher nicht viel um mich gekümmert und jetzt, als ich da war, schon gar nicht. Allerdings war der Getreideschnaps zu der Zeit noch billiger und hatte durch das auch mehr Zusprache.

Außerdem hatte der Wirt vom Hirsch damals noch die elektrische Wäschemangel im hinteren Hofe und die jungen Weiber kamen hier hin und drückten ihre Bettlaken platt und was sie sonst noch so zum Drücken hatten. Als ich fünf Jahre alt war, wurde die Mangel aufgelöst wegen Unwirtlichkeit und weil sich auch schon ein paarmal fremde Männer die Hände eingequetscht hatten, welche gar nicht zu den Bettlaken gehörten, aus Mutwillen also.

Dann kam ich aber flugs in die Schule und blieb auch einige Zeit dabei, obwohl mein Lehrer schon sehr früh sagte, es lohnt sich nicht erst. Aber man lernt immer was dazu. Ich habe vier Jahre Volksschule durchgemacht, ehe ich ins wilde Leben ein­trat und habe es nie bereut. Mit den anderen Kindern kam ich ebenfalls gut aus, ausgenommen die drei Stiftzähne und Zahn­fleischbluten, was meine Eltern bezahlen mußten, weil ich selber noch kein Einkommen hatte. Aber was tut's, wenn die Kinder noch im erstbesten Alter und so nervöses Zahnfleisch haben - am liebsten möchte man da überhaupt keine Gerechtig­keit mehr einüben. Jede Krankenkasse wird Ihnen da abraten.

Bei uns im Hause war ein ursprünglicher Seemann, seine Enkel­tochter wollte schon früh mit mir schön tun. Aber ich dachte jung gewohnt alt getan und ließ ihr einen halben Ziegel auf die Achsel fallen. Wasser und Brot ist für einen Anfänger nix, und bei mir fing das ja erst an. Das lernt man doch erst nach und nach, wie man sich im Gefängnis einrichtet, und da sagt einem vorher keiner was, wie man sich dort verhalten soll, kein Wort. So weltfremd wurden wir erzogen. Gefängnisaufent­halt ist schließlich heute ein Stück Karriere, aber auf die Dauer zu langweilig, und von daher anstrengend.
Man braucht einen eisernen Leumund, bis man durch das alles durch ist.

Ein besserer Herr, den ich eines Abends zum Billard einladen wollte, weil er auf meiner Bananenschale ausgeglitscht war und ich mich daher erkenntlich zeigen wollte, klopfte mich auf die Schulter und sagte: junger Freund, wenn Sie keine Arbeit haben, können Sie bei mir als Kesselheizer anfangen. Wie, Sie haben eine Waschküche ? Ich dachte nämlich schon wieder an die Wäschemangel. Nein, das nicht, aber eine Dampf­säge. Ich sag nicht nein, obwohl ich Ruhe verdient hätte, das ewige Gefängnis strapaziert doch. Aber der Herr war mir, was man so sagt, einfach simbatisch. Ich ging da auch ein paarmal hin und heizte ihm ein. Dann allerdings er mir.

Bei anderer Gelegenheit trat ich in eine Kartonagenfabrik ein. Abwechslung kann ich vertragen. Bloß die Männer, die auf meiner Abteilung arbeiteten, die hatten alle das eine: sie vertrugen nix. Am empfindlichsten, habe ich festgestellt, sind sie am Hinterkopf. Aus diesem Grunde kam ich dann in die Frauenabteilung. Als Maschinenprüfer. Kontrolleur. Maschi­nen sind ebenfalls empfindlich. Auch Frauen muß man schonend behandeln, besonders werdende. Hab ich getan. Später wurde ich zum Vorarbeiter ernannt. Mit alleiniger Verfugnisgewalt im ersten Stock, da arbeiten 20 Frauen am laufenden Band, wo die Kartons vorbeifahren. Gehen alle durch meine Hand. Die Kartons. Wir sind ein Musterbetrieb. Von meiner ersten Verlobten hab ich mich deswegen getrennt. Weil man freie Hand haben muß. Was mir jetzt noch fehlt, hole ich in Abendkursen nach.

Im Telefonbuch finden Sie mich unter Betriebsstörungen. Sie können mal ruhig mit uns feiern, Mittwoch haben wir Kegelabend. Schöner Anblick, wenn die 13 Frauen reinbolzen, in die Vollen. Also bis dann vielleicht. Es lebe der Fort­schritt.


© Horst Wolf Müller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008