Und plötzlich ist die Nähe da

Jos van Kan inszeniert in Wuppertal Lot Vekemans „Gift“

von Martin Hagemeyer

Foto © Christoph Sebastian

Und plötzlich ist die Nähe da

Jos van Kan inszeniert in Wuppertal Lot Vekemans „Gift“
 
Regie: Jos van Kan.
Bühnenbild und Kostüme: Siegfried E. Mayer. Musik: Wiebe Gotink. Dramaturgie: Cordula Fink. Regieassistenz: Alexander Bangen. Inspizienz: Luisa Rubel.
 
„Wenn ich dich anschaue, sehe ich eine gescheiterte Geschichte.“ Anschauen kann die Frau, die das sagt, ihren Mann jetzt nach neun Jahren zum ersten Mal wieder; daß er damals ging, hält sie ihm heimlich bis heute vor. Irgendein Trennungsdrama ist „Gift“  von Lot Vekemans aber nicht, die neue Premiere beim Schauspiel Wuppertal – denn man trifft sich am Grab des gemeinsamen Kindes. Und daher spricht Strenge ebenso aus vielen Sätzen dieses Abends wie etwas, das für Jos van Kans Inszenierung überhaupt wesentlich scheint: Distanz. Das ist zunächst paradox – denn im Vorfeld hatte man Nähe versprochen.
 
Kühle strahlt schon die Bühne aus, auf der Philippine Pachl und Thomas Braus spielen. Das liegt aber nicht nur am naturgemäß unwirtlichen Ort, nämlich der Wartehalle auf dem Friedhof, wohin sie gebeten wurden, weil ihr Sohn wegen Schadstoffen im Boden umgebettet werden soll. Kühl macht die Szene vielmehr auch das Konzept von Bühnenbildner Siegfried E. Mayer, eine entschiedene Setzung: Nichts als frontale Wandfläche mit Durchgang und Bank, alles aus Grau und sauber rechten Winkeln. Klare Kante: Abstraktion.
Distanziert ist daher nicht nur das Verhältnis der namenlosen Ex-Partner, die im Stück bloß „Sie“ und „Er“ heißen, sondern ebenso die Haltung, die unwillkürlich auch der Zuschauer zu ihnen einnimmt – jedenfalls zunächst. Auch das Spiel, möchte man sagen, lädt erst nicht zum direkten Mitempfinden ein; selbst wo es zu emotionalen Ausbrüchen kommt rund um die Frage, wie jeder mit dem Verlust umgegangen ist. Pachls „Sie“ ätzt mit zitternden Fingern, steckt merklich voll mühsam gebändigter Spannung – aber einer, die sich mit Trauer allein nicht erklären mag. Erst später begreift man ja: Auch sein Abgang damals treibt sie um. Und auch Braus‘ verwaister Vater wirkt lange nicht ganz greifbar: ein Journalist, intellektueller Typ, aber oft doch unbedacht in seinen Worten.

 
Ist man zu sehr abgestumpft vom Über-Betonten in Film und Fernsehen, mochte man fragen, um hier gleich viel „Nähe“ wahrzunehmen? Nachher aber fiel der Blick des Rezensenten auf seine Notizen während der Aufführung, wo auch dies stand: „Käse? Komischer Kontrast.“ Und plötzlich war sie da, die Nähe. Käse und eine Flasche Wein hatte „Er“ aus dem Auto hinter der Bühne hervorgezaubert, ziemlich zeitgleich mit einem deutlichen Wechsel auf der Bühne: Auf einmal nahmen da beide Platz auf dem Bühnenrand.
Und so blieb das Bild dann auch, fast friedlich: Zwei Trauernde, schmausend, beinebaumelnd. Komisch wirkte das, weil so Profanes einfach in die Kühle platzte. Aber: Nähe brachte es auch. Weil die Figuren räumlich näherrückten, aber auch weil sie konkreter wurden. Wollte der abstrakte Ansatz erklärtermaßen die ganz großen Themen verhandeln, Verlust und Beziehungen allgemein: Am Ende, ohne zu viel zu verraten, sieht man zwar keine harmonieselige Romantik. Aber, und vielleicht wichtiger, zwei Menschen, die anrühren und eine Kluft überbrückt haben.
 
 
Gift. Eine Ehegeschichte von Lok Vekemans. Deutsch von Eva Pieper und Alexandra Schmiedebach.
Nächste Termine: 24.2., 6., 5.3., 18.3. je 19.30 Uhr; 6.3., 20.3. je 18.00 Uhr.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de