Die Etrusker. Von Villanova bis Rom

Glanzvolle Ausstellung in den Münchner Antikensammlungen

von Rainer K. Wick

Bronzestatue des Tinia, 3. Jh. v. Chr.
Die Etrusker. Von Villanova bis Rom
 
Glanzvolle Ausstellung in den Münchner Antikensammlungen
 
Immer noch gelten die Etrusker als das rätselhafteste Kulturvolk der Antike. Dabei ist an materiellen Überlieferungen kein Mangel, wie vor allem die großen Etruskersammlungen in Italien zwischen Florenz und Rom belegen. Daß aber auch München eine hochkarätige Etruskersammlung besitzt, deren Schätze erst jetzt in ihrer ganzen Fülle ans Licht gelangt sind, macht die großartige Sonderausstellung „Die Etrusker. Von Villanova bis Rom“ in den Staatlichen Antikensammlungen der bayrischen Landeshauptstadt bewusst. Zum ersten Mal wird hier dem interessierten Publikum nach einem Jahrzehnte andauernden Dornröschenschlaf in den Depots ein geschlossener Überblick über eine der bedeutendsten und umfangreichsten Sammlungen etruskischer Kunst in Deutschland geboten. Schon im 16. Jahrhundert waren erste Objekte aus Etrurien nach München gelangt, im großen Maßstab begann der Erwerb etruskischer Kunstschätze aber erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem kunstsinnigen und antikenbegeisterten Kronprinzen und späteren König Ludwig I. Schenkungen und Nachlässe mehrten in der Folgezeit die Münchner Etruskersammlung. Der aktuelle Katalog verzeichnet mehr als 550 Objekte aus allen Perioden etruskischer Kunst – vorwiegend Terrakotten, Bronzen und Goldschmuck.
 
Angesichts der reichen Materiallage und des fortgeschrittenen Forschungsstandes hat der italienische Etruskologe Giovannangelo Camporeale nachdrücklich betont, daß im Hinblick auf die Kultur der Etrusker „das (Vor-)Urteil des Geheimnisvollen keine Existenzberechtigung“ habe. Und doch sind nicht alle Rätsel gelöst. So herrscht nach wie vor Unklarheit über die Herkunft dieses Volkes. Schon seit der Antike stehen sich zwei Positionen konträr gegenüber: einerseits die Annahme, daß die Etrusker im frühen ersten Jahrtausend aus Kleinasien kommend in Mittelitalien eingewandert seien, andererseits, die Etrusker seien ein italisches Urvolk. Heute tendiert die Forschung zu einer dritten Variante, die sich als Konvergenztheorie beschreiben läßt und von einem Prozess der allmählichen Durchmischung einer bereits ansässigen Population mit einem kulturell höher entwickelten, möglicherweise aus dem Osten eingedrungenen Einwanderungsvolk mit komplexeren Glaubensvorstellungen und überlegener Stadtkultur ausgeht.
Bedauerlicherweise kann zur Klärung der Frage nach der Herkunft der Etrusker auch deren Sprache, die nicht indogermanischen Ursprungs ist, kaum etwas beitragen. Zwar kann die etruskische Schrift, die Zeichen verwendet, die einem frühgriechischen Alphabet ähneln, gelesen werden kann, verstehen lassen sich die ohnehin nur unzureichend überlieferten Texte (z.B. Grabinschriften) aber immer noch nicht vollständig. Das Gros der schriftlichen Quellen über die Etrusker stammt zudem nicht von diesen selbst, sondern von griechischen und römischen Autoren und muß insofern mit einiger Vorsicht gelesen werden, da ihre Darstellungen höchstwahrscheinlich interessegeleitet und mithin keineswegs immer tatsachenorientiert waren.
 
Das eigentliche Kernland der Etrusker in der heutigen Toskana sowie in Teilen Umbriens und Latiums war nie ein einheitliches Staatsgebilde. Wie

Bikonische Aschenurne mit Deckel, 9.-8. Jh. v. Chr.
im antiken Griechenland die Polis, war auch hier der Stadtstaat die politische Einheit. Doch es gab über lange Zeit ein Zweckbündnis, den Zwölfstädtebund, zu dem so mächtige Orte wie Tarquinia und Volterra gehörten. Im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. waren die Etrusker die stärkste Kraft nicht nur auf dem Festland, sondern auch auf dem Tyrrhenischen Meer, wo sie die Seeherrschaft innehatten. Nach der Seeschlacht vor Cumae im Jahr 474, in der die sizilischen Griechen aus Syrakus der etruskischen Flotte eine schwere Niederlage beibrachten, zerfiel allerdings im 5. Jahrhundert die Vormachtstellung der Etrusker zur See, und auch ihr Landbesitz geriet in Gefahr. Der größte Druck auf Etrurien ging von der Römern aus, die seit dem 4. Jahrhundert einen etruskischen Stadtstaat nach dem anderen angriffen und Mitte des 3. Jahrhunderts ganz Etrurien in ihrer Hand hatten. Daß damit die etruskische Kultur nicht einfach verschwand, sondern lange fortgewirkt und die Kultur der Römer nicht unwesentlich befruchtet hat, läßt sich an zahlreichen Artefakten in den Münchner Antikensammlungen deutlich ablesen.
Die Ausstellung spannt den Bogen von der frühgeschichtlichen sog. Villanova-Kultur des 9. und 8. Jahrhunderts v. Chr. (benannt nach einem Fundort in der Nähe Bolognas), gefolgt von der sog. orientalisierenden Periode (8. und 7. Jahrhundert), für die Einflüsse aus dem östlichen Mittelmeergebiet und Kleinasien charakteristisch sind, der archaischen (ca. 600 bis 500) und klassischen Phase (5. und 4. Jahrhundert), in der die etruskischen Künstler erkennbar von der griechischen Klassik beeinflusst wurden, bis hin zur Spätphase (ab dem 3. Jahrhundert), in der in Etrurien in starkem Maße Formprinzipien des Hellenismus Eingang fanden.
 
Die meisten der in München ausgestellten Artefakte stammt aus den ausgedehnten, außerhalb der antiken Städte befindlichen etruskischen Nekropolen. Es handelt sich um frühe bikonische Urnen, um reliefverzierte Aschekisten mit figürlichen Darstellungen der Verstorbenen sowie um ganz unterschiedliche Grabbeigaben – neben schwarz- und rotfigurig bemalten Gefäßen, zum großen Teil Importware aus der griechischen Vasenproduktion, Goldschmuck erster Güte, oft in der legendären Granulationstechnik, sowie Bronzeobjekte. Erwähnt seien nur die sog. Cisten, meist runde Toilettenkästchen, die Dinge aufnahmen, die mit der Schönheitspflege der Frauen zu tun hatten und die auch im Jenseits offenbar für unentbehrlich gehalten wurden. Charakteristisch für diese Bronzebehälter, deren Deckel häufig aus Griffen in Menschengestalt bestanden, sind Gravuren in geschmeidiger Linienführung, die mythologische Szenen zeigen. Dasselbe gilt für die in großer Zahl als Grabbeigaben gefundenen Bronzespiegel. Daß die Etrusker hervorragende Bronzebildner waren, belegen nicht nur die ausgestellten Kleinplastiken, sondern auch die hervorragend gearbeitete, mit etwa einem Meter Höhe unterlebensgroße Bronzestatue des Tinia, der höchsten etruskischen Gottheit (sie entsprach dem griechischen Zeus und dem römischen Jupiter) aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., die unverkennbar von der griechisch-hellenistischen Skulptur beeinflusst ist. Typisch etruskisch ist dagegen die berühmte Chimäre von Arezzo (spätes 5., frühes 4. Jahrhundert), die dem Museo Archeologico Nazionale in Florenz gehört und den Besucher in München als auf Hochglanz polierter Nachguss empfängt. Die von extremer Dynamik erfüllte, kraftvoll gespannte Darstellung dieses Ungeheuers, eines Mischwesens aus Löwe, Ziege (aus dem Rücken herauswachsend) und Schlange (Schwanz) war eine Votivgabe für Tinia, wie eine Inschrift im rechten Vorderfuß der Chimäre nahelegt.


Nachguß der Chimäre von Arezzo, um 400 v. Chr.
 
Neben zahlreichen Votivplastiken, die Gottheiten als Bitt- wie auch als Dankopfer gestiftet wurden, finden sich in der Ausstellung auch einige schöne Beispiele für – farbig gefasste – Bauplastiken, die wegen der Holzbauweise des etruskischen Tempels nicht aus Stein gemeißelt wurden, sondern, um Gewicht zu sparen, aus gebranntem Ton bestanden. Seit dem 5. und mehr noch seit dem 4. Jahrhundert vollzog sich in der etruskischen Plastik eine deutliche Entwicklung in Richtung eines ausgeprägten Realismus oder Verismus, der im 1. Jahrhundert gleichsam bruchlos zur Porträtplastik der Römer überleitet. Während die Griechen eher am Typus, an der überindividuellen Formulierung eines idealen Menschenbildes interessiert waren, ging es den Etruskern primär um die Charakterisierung der je individuellen Züge einer dargestellten Person, sei es auf den Deckeln von Sarkophagen und Urnen, die die Verstorbenen zeigen, sei es als Votivköpfe, sofern diese nicht seriell hergestellt wurden, sondern frei mit der Hand geformt wurden. Aus ihren reichen Beständen zeigen die Münchner Antikensammlungen u.a. den eindrucksvollen Terrakottakopf eines Mannes aus frühhellenistischer Zeit um 300 v. Chr., dessen Lebensnähe bereits die spätere Porträtkunst römischer Observanz erahnen läßt.
 
Katalogbuch „Die Etrusker. Von Villanova bis Rom“ hrsg. v. Florian S. Knauß und Jörg Gebauer, 384 S., ca. 740 Farbabb., Nünnerich-Asmus Verlag, € 29,90, im Museumsshop € 25,-
 

Terrakotta-Porträtbüste, 3. Jh. v. Chr.
Der umfangreiche, fast vierhundert Seiten starke, reich bebilderte Katalog mit fachwissenschaftlich fundierten Textbeiträgen hat den Charakter eines veritablen Handbuchs zur etruskischen Kunst, das auch demjenigen zu empfehlen ist, der keine Gelegenheit hat, die Münchner Sonderausstellung zu besuchen. Weitgehend ausgespart bleibt in dem Katalogbuch allerdings die bedeutende Rolle der etruskischen Wandmalerei, da sie nicht zum Sammlungsbestand des Museums gehört. Wer sich davon einen Eindruck verschaffen möchte, wird an einer Reise nach Tarquinia mit seiner ausgedehnten Nekropole und den großartig ausgemalten Grabkammern aus dem 6. bis 2. Jahrhundert v. Chr. nicht vorbeikommen.
 
Die Etrusker. Von Villanova bis Rom
bis 17. Juli 2016
Staatliche Antikensammlungen München
Königsplatz 1 - 80333 München
Telefon (089)59988830
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 10 – 17 Uhr, Mittwoch 10 – 20 Uhr
info@antike-am-koenigsplatz.mwn.de

Alle Fotos © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München