Ausgerastet im Konzertsaal

Cembalist Mahan Esfahani mußte in der Kölner Philharmonie sein Konzert vorübergehend abbrechen.

von Michael S. Zerban

Michael S. Zerban
Ausgerastet im Konzertsaal
 
Cembalist Mahan Esfahani mußte in der Kölner Philharmonie
sein Konzert vorübergehend abbrechen.
 
Gern und lautstark machen Besucher ihrem Unmut in Opernaufführungen Luft, wenn ihnen die Vorstellung nicht gefällt – ohne Rücksicht auf das übrige Publikum. Im Konzertsaal sind solche Reaktionen eher selten. Wie die Veranstalter auf solche Zwischenfälle vorbereitet sind, hat sich jetzt in der Kölner Philharmonie gezeigt: gar nicht.
 
Hoppla, jetzt komm ich!“ Die neoliberale Grundhaltung in der Politik der letzten Jahre hat die deutsche Gesellschaft bis in ihre Fundamente erschüttert und zersetzt. Die Ellbogen-Mentalität des Turbokapitalismus macht auch vor dem täglichen Miteinander nicht mehr Halt. Ob im Straßenverkehr, wo sich immer mehr Menschen benehmen, als sei der Paragraph eins der Straßenverkehrsordnung durch das Recht des Stärkeren ersetzt, oder auf dem gutbesuchten Wochenmarkt, wo sich die Leute rücksichtslos rempelnd ihren Weg bahnen. Waren es früher einzelne, die glaubten, mehr mit Rücksichtslosigkeit zu erreichen als mit fürsorglichem Miteinander, entwickelt sich der fehlende Respekt zum Gesellschaftstrend. Daß der mit großer Aufgeregtheit einhergeht, läßt sich in den so genannten Sozialen Medien jeden Tag aufs Neue bis zur Unerträglichkeit nachlesen.
 
Opernhäuser als Orte der Kultur haben ein Publikum, das einen besonders kultivierten Umgang miteinander pflegt? Weit gefehlt. Hier hat die Aufgeregtheit – eine üble – Tradition. Da nehmen sich Menschen das Recht, mit „Buh“- und „Aufhören“-Rufen eine Aufführung zu stören, weil ihnen beispielsweise die Inszenierung nicht gefällt. Übrigens nicht nur in Deutschland. Berüchtigt das italienische vergogna, wenn das Publikum der Auffassung ist, jemand habe sich auf der Bühne zu viel bewegt und diese Schande nicht erträglich ist. Vermutlich glauben die Zuschauer, daß sie der Respektlosigkeit des Regisseurs ihnen gegenüber mit fehlendem Respekt dem Regisseur gegenüber begegnen dürften. Im Konzertsaal hat es solche Ausfälle in den vergangenen 80 Jahren eher selten gegeben.
Bis zum vergangenen Sonntag in der Kölner Philharmonie. Hier gab es am Nachmittag ein Konzert von Concerto Köln mit Mahan Esfahani, einem der führenden Cembalisten der Gegenwart. Bach-Werke wurden hier Werken von Fred Frith, Henryk Mikolaj Górecki und Steve Reich gegenübergestellt. Schon in der Einführung, so berichtet Markus Schwering im Kölner Stadt-Anzeiger, wurde der Englisch sprechende Esfahani angeherrscht: „Reden Sie doch gefälligst Deutsch!“ Nach sechs Minuten Piano Phase von Steve Reich verlor ein gut Teil des Publikums jede Contenance. Lachen, Klatschen, Pfeifen und Zwischenrufe erzwangen den vorläufigen Abbruch des Konzerts. Intervention seitens der Philharmonie: Fehlanzeige! „Ich glaube, ich wäre auf die Bühne gerannt, um dem Künstler beizuspringen“, gibt Intendant Louwrens Langevoort am Montag zu Protokoll. Er war aber nicht da. Und auch sonst kein Verantwortlicher, der sich zuständig fühlte. Erst am Ende der Veranstaltung ging ein Besucher auf die Bühne, um sich bei den Künstlern für das unflätige Verhalten zu entschuldigen.
 
Seither wird entweder das Publikum beschimpft oder gefordert, daß man mit einem solchen Publikum im Dialog bleiben müsse, ob man wolle oder nicht. In den Medien. In der Philharmonie, sagt Langevoorts abschließend, werde man Esfahani erneut einladen, um den ganzen Reich zu spielen. Und dann? Neue Tumulte?
Das Mindeste wäre eine öffentliche Erklärung des Intendanten, wie es dazu kommen kann, daß in seinem Haus ohne irgendwelche Konsequenzen Künstler verunglimpft werden. Und wie er das in Zukunft verhindern will. Bislang ist dazu nichts zu hören.
Und solange Medien Sendezeiten und Papier mit Brandreden von bayerischen Ministern füllen, die bürgerliche und christliche Werte gleich serienweise in den Boden stampfen, soll kein Kulturveranstalter glauben, daß ihm das in seinem Hause nicht passieren kann, was in Köln geschehen ist. Vielmehr müssen hier sehr schnell, also anders als in der Politik, konkrete Antworten gefunden und umgesetzt werden. Weil sonst die Bürger, die erst zuhören und dann urteilen, den Sälen der Kultur lieber fernbleiben.
 
Michael S. Zerban (Opernnetz) 2.3.2016