Beklemmend

„Raum“ (Room) – von Lenny Abrahamson

von Renate Wagner

Raum
(Room - Kanada 2015)

Regie: Lenny Abrahamson
Mit: Brie Larson, Jacob Tremblay, Joan Allen, William H. Macy u.a.
 
Hätte die bis dato in der breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbekannt gebliebene Schauspielerin und Sängerin Brie Larson für die Hauptrolle in „Room“ nicht „Oscar“ und „Golden Globe“ heimgetragen, der Film würde vermutlich relativ unbeachtet unter „ferner liefen“ dümpeln – so wie das vorangegangene Werk von Regisseur Lenny Abrahamson, die schräge Pop-Group-Geschichte „Frank“. Brie Larson hat – wie gerechtfertigt oder nicht, das wird jeder für sich beurteilen – ihre Konkurrentinnen ausgestochen, und so war der Film in aller Munde.
Wohl auch, weil er ein im Moment immer wieder besprochenes Thema hervorholt, das wir Österreicher besonders gut kennen – jahrelang eingesperrt, eine Kampusch-, eine Fritzl-Situation. (Angeblich hat der Fall Fritzl Autoin Emma Donoghue zu ihrem Roman „Room“ inspiriert, der diesem Film zugrunde liegt.)
 
In diesem Fall trifft es die sehr junge Frau Joy und ihr Kind, den fünfjährigen Jack (der langhaarig wie ein Mädchen aussieht, was eine zeitlang tatsächlich verwirrend wirkt). Ein „Raum“ von geradezu erschreckenden 4 mal 4 Meter Enge für zwei, eine nicht zu erreichende Lichtöffnung im Dach. Minimale Ausrüstung, immerhin ein Fernsehapparat. Man hat keine Ahnung, wo sich dergleichen – fern von allen anderen Menschen – befinden könnte.
Dieser Junge Jack hat die Welt „draußen“ noch nie gesehen, ist in einem Alter, wo er fragt und auch versteht – und lange Zeit sieht man Joy, die „Ma“, Muter und einzige Bezugsperson, einfach dabei zu, wie sie versucht, Jack eine Welt zu erklären, die er sich nicht vorstellen kann. Denn außer dem Kindesvater, der Joy mit 17 gekidnappt, vergewaltigt, geschwängert und mit dem Kind, das sie ohne Hilfe zur Welt brachte, weggesperrt hat, hat er noch nie einen anderen Echtmenschen gesehen.
Wie Joy versucht, für Jack ein künftiges Leben möglich zu machen, wie sie sich aber auch angesichts seiner Fragen nicht zu helfen weiß, das ist eine lange Passage dieses klaustrophobischen Films des irischen Regisseurs Lenny Abrahamson. Daß glücklicherweise nicht alle Menschen hilflose Opfer sind, zeigt sich an dem wahnwitzigen Plan, den sich Joy ausdenkt, um Jack endlich aus dem Gefängnis zu befreien – man sollte ihn wahrscheinlich nicht verraten, und es ist würgend spannend und bedrückend, wie es ihr gelingt, den Mann dazu zu bringen, das Kind „wegzuschaffen“. Da sieht der Kinobesucher erst, welch lächerliches Gartenhaus dieses Gefängnis war.
 
Der zweite Teil des Films ist aber dann nicht weniger beklemmend – dem Jungen gelingt die Flucht, die Polizei findet auch die Mutter, man bringt die beiden zu ihren Eltern heim. Menschen, die sie für tot hielten, nie mehr von der Tochter gehört haben, jetzt selbst verarbeiten müssen, daß sie und auch noch mit einem Kind wieder da ist. Gar nicht Jubel, Trubel, Glück, sondern psychologische Abgründe allerorten. Auch für Joy, die so erbittert ist über die verlorenen sieben Lebensjahre. Familiäre Aggressionen statt des erwarteten Glücks der Wiederkehr.
Schwierig ist es vor allem für Jack, der begreifen muß, wie beängstigend groß die Welt ist und wie beängstigend viel sie von einem kleinen Jungen verlangt… die echten Bäume (nicht nur im Bilderbuch), echten Hunde, echten Menschen… Pervers, und doch nachvollziehbar: Als Mutter und Junge am Ende des Films zurückkehren, um sich ihr „Gefängnis“ anzusehen – die seltsame Frage vermittelt sich, ob es nicht ein Ort der Sicherheit, eine Welt für sich war, in manchem möglicherweise der wahren Welt vorzuziehen?
Natürlich, wie Brie Larson und vor allem der kleine Jacob Tremblay das spielen, wie Regisseur Lenny Abrahamson nicht nur den ersten, sondern auch den beklemmenden zweiten Teil der Geschichte entwickelt, das geht unter die Haut. Ganz real, nicht kinomäßig (quasi unterhaltend) schauerlich ist es trotzdem. Vor allem, wenn man auf den Gedanken zurückgeworfen wird, daß auf der Welt mit Sicherheit Tausende von Menschen von irgendwelchen perversen Verrückten so festgehalten und weggesperrt werden…
 
 
Renate Wagner