Kein schöner Land in dieser Zeit

„Hannas schlafende Hunde“ von Andreas Gruber

von Renate Wagner

Hannas schlafende Hunde
(Österreich 2016)

Regie: Andreas Gruber
Mit: Nike Seitz, Hannelore Elsner, Franziska Weisz, Michaela Rosen,
Elfriede Irrall,
Johannes Silberschneider u.a.
 
Der 62jährige Oberösterreicher Andreas Gruber ist sicher einer der bemerkenswertesten  Filmregisseure des Landes, wenn man auch nicht allzu viel von ihm gesehen hat. Er ist kein Produzierer am laufenden Band, zwischen seinen Projekten liegen Jahre, die Themen sind immer, wenn auch auf verschiedenen Ebenen, zeitkritisch.
Grubers größter Erfolg war 1994 „Hasenjagd“. Mit dem Untertitel „Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“ hat er hier die so genannte „Mühlviertler Hasenjagd“ geschildert, als Insassen des KZs Mauthausen kurz vor Kriegsende flohen und von der Bevölkerung so gut wie keine Unterstützung bekamen… Damals (aber das ist nun auch schon mehr als 20 Jahre her!) hat Gruber gezeigt, daß man auch mit einem solchen Thema einen österreichischen „Bestseller“-Film drehen kann, der über 100.000 Zuschauer fand.
 
Und nun kehrt er wieder vor der eigenen Türe, noch unmittelbarer, denn seine Heimatstadt Wels ist Schauplatz des Geschehens, und die Autorin des dazugehörigen Buches, Elisabeth Escher, stammt gleichfalls aus Wels. Es ist keine autobiographische, wohl aber in vielem glaubhafte Geschichte. Doch ist die Romangrundlage wohl auch dafür verantwortlich, daß das Drehbuch gelegentlich allzu kitschig und allzu zeigefinger-belehrend auf den Zuschauer zielt. Dennoch, die Geschichte hat es in sich. Und ihre Hauptqualität besteht in der sehr genauen, reich ausschattierend Psychologie der handelnden Figuren.
 
Wels in den sechziger Jahren, noch immer „stockige“ Nachkriegszeit, obwohl man meinen sollte, man hätte sich schon ein wenig weiter bewegt. Aber, wie hier gezeigt wird, ist in den Köpfen noch vieles von gestern und vorgestern. Da haben es Außenseiter nie leicht (vermutlich bis heute nicht), vor allem, wenn ihre Schicksale so eng mit den Durchschnittsbürgern verbunden sind, die durch diese Familie gehindert werden, sich ungestraft als „gute Bürger“ zu fühlen – „Es ist Euch ja nichts wirklich passiert.“
Drei Generationen Frauen, wobei die Details der Schicksale sich sehr geschickt erst nach und nach offenbaren, ein Detail hier, ein Detail dort. Zuerst erlebt man nur, daß Katharina  mit ihrem sehr „braven“ Gatten (Rainer Egger) so unauffällig wie möglich in einem Wohnblock zuhause ist, Sonntags brav zur Kirche geht und versucht, die rebellischen Familienmitglieder in Schach zu halten und so klein zu machen, wie sie selbst sich duckt, um ja nicht aufzufallen. Denn Mutter Ruth ist Jüdin und sie besteht darauf, bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, obwohl das niemand hören will. Und Tochter Hanna, neun Jahre alt, stellt allzu lästige Fragen.
Wir erfahren, daß Ruth in zweiter Ehe mit einem Mann verheiratet war, der mies genug war, mit den Nazis mauscheln zu können, was das Leben von Ruth und ihren beiden Töchtern gerettet hat. Aber in den Luftschutzkeller haben die Mitmenschen die Jüdinnen nicht gelassen, und nach einem Bombenangriff ist Ruth blind. Dankbar dafür, daß man sie überleben ließ, ist sie keinesfalls, ihre Vorwürfe fallen hart und zielgerichtet. Freilich, daß auch sie sich die Wahrheit zurechtstutzt, wird gleichfalls klar – der Vater ihrer Töchter ist nicht verschwunden, weil die Nazis ihn geschnappt haben, sondern weil er sie sitzen gelassen hat… aber wer kann schon ohne seine Lebenslügen existieren? Ruth jedenfalls erzählt Hanna nach und nach alles – sehr zur Verzweiflung von Tochter Katharina.
Diese hat nicht zuletzt überlebt, weil der damals wie heute allseits angesehene Herr Öllinger (Christian Wolff mit der hochmütigen Aura der Respektsperson in der kleinen Gemeinschaft)  sie in seiner Bank beschäftigt hat – und sich dafür in Naturalien bezahlen ließ, Katharina stets sexuell mißbrauchend. Irgendwelche Reue darüber empfindet er keineswegs, im Gegenteil, die Selbstgefälligkeit strahlt ihm aus den Augen.
Hanna, die kleine halbe Jüdin, muß sich nicht nur, wie Mutter und Großmutter, im Alltag, sondern auch ganz gewaltig in der Schule diskriminieren lassen. Mit einer geradezu unerträglichen Gehässigkeit fällt die Religionslehrerin (Michaela Rosen, vor der man sich nur fürchten kann) über das Mädchen her und kann an Bosheit nicht genug tun. Und rund um sie all die Ex-Nazis, Männer wie Frauen, die sogar noch aussehen wie damals (Wolf Bachofner ist hier als schrecklicher Typ ideal), so denken wie damals, sich schamlos und straflos mehr oder minder verhalten wie damals. Inklusive gewalttätiges „Disziplinieren“ der eigenen Kinder.
 
Gruber stellt das (man ist in den Sechziger Jahren) so brutal und rücksichtslos hin, daß man es lieber gar nicht glauben möchte, daß man das Gefühl der demagogischen Überzeichnung nicht los wird (obwohl man natürlich gut weiß, wozu Menschen fähig sind). Und doch: So, wie es hier dargestellt wird, kann man gelegentlich kaum hinsehen. Und so, wie Oma Ruth der kleinen Hanna das jüdische Bewußtsein vermittelt, wird die Geschichte leicht süßlich. Daß daneben noch ein Kindergesangs-Wettbewerb (mit Lied für die Omi) läuft und Hanna sich ach so gern beteiligen will, bringt das Gleichgewicht des Films schon sehr ins Wanken, das ist doch kein Sechziger-Jahre-Christine-Kaufmann-Streifen, wo alle so herzig waren?
Stark ist das Ganze hingegen, wenn Nebenfiguren fokussiert werden – die Frau Leeb (kein Andreas-Gruber-Film ohne die großartige Elfriede Irrall), die sich damals gut benommen hat, aber das gerne so oft erzählt, daß Katharinas Nerven reißen. Oder der Pfarrer (Johannes Silberschneider), der sich nur winden kann angesichts des Verhaltens seiner „Schäfchen“, die er so mißbilligt und mit denen er leben muß. Überhaupt „rauft“ Andreas Gruber, der andererseits auch den TV-Film über Kardinal König gedreht hat, offenbar auch persönlich mit dem Katholizismus, der hier nur von seiner schaurigsten Seite her gezeigt wird.
Der Film lebt von den drei Frauen. Hannelore Elsner, in letzter Zeit zunehmend magisch-mystisch in ihrer Rollengestaltung, flirrt auch hier ein bißchen theaterhaft-theatralisch über die Leinwand.
Was Franziska Weisz betrifft, so gibt es in der österreichischen Film- und Fernsehwelt die Tendenz, ein Gesicht zu „entdecken“ (das muß gar nicht besonders schön sein, je alltäglicher desto besser, so scheint es, zuletzt war es Ursula Strauss), das dann durch alle Produktionen geistert und durch Overkill den Eindruck erweckt, die Schauspielerin sehe immer gleich aus. Immerhin, hinter Verbissenheit mag man Seelenqualen glauben.
Nike Seitz schließlich macht vieles möglich, man kennt diese „lästigen“ Kinder, die alles wissen wollen, es ist gut, daß es sie gibt. Sie ist die Titelfigur des Filmes, sie trägt viel von der Geschichte, und was man als demonstrative Überzeichnung hier, als eher unverträglichen Kitsch da nicht so überzeugend findet – die Hannas dieser Welt sorgen dafür, daß man die schlafenden Hunde nicht ruhen läßt. Wie gesund das mißtönende Gekläffe für die Reinigung der Betroffenen ist – mal sehen, ob Andreas Gruber wieder einen Publikums-Hit gedreht hat.
 
 
Renate Wagner