Maniera

Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici im Frankfurter Städel Museum

von Rainer K. Wick

Giambologna - Florenz triumphiert über
Pisa, 1565
Maniera.
Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici
 
Großartige Manierismus-Schau im Städel Museum Frankfurt
 
Zuweilen lediglich als Übergangsstil zwischen Hochrenaissance und Frühbarock bezeichnet, zeigt der Manierismus doch ganz eigenständige Züge. Mit hochkarätigen Exponaten dokumentiert dies die aktuelle Frankfurter Maniera-Schau, die die Anfänge und das Aufblühen des Manierismus im Florenz des 16. Jahrhunderts auslotet – in einer Zeit also, als die Medici nach fast zwanzig Jahren aus ihrem Exil in die Stadt am Arno zurückgekehrt waren und dort ein frühabsolutistisches Regime errichteten. Zwei Künstler stehen im Mittelpunkt der Ausstellung, Jacopo Pontormo (1494–1557) und dessen Schüler und Freund Agnolo Bronzino (1503-1572).
Giorgio Vasari, der mit seinen „Viten“ der bedeutendsten Künstler Italiens (1550, zweite Auflage 1568) nicht nur als Gründungsvater der Kunstgeschichte gilt, sondern in Frankfurt auch als manieristischer Künstler rehabilitiert wird, sprach von „maniera“, um damit den Spätstil Michelangelos zu bezeichnen. In diesem Sinne war mit Maniera also zunächst kein Epochenbegriff gemeint, sondern die ganz spezifische, individuelle Eigenart des Künstlers, also sein Individual- oder Personalstil, seine „Handschrift“ gewissermaßen (italienisch „mano“ = Hand). Seit dem späteren 16. Jahrhunderts erhielt der Begriff „maniera“ allerdings einen negativen Beigeschmack. Manieriert bedeutete nun und in der Folgezeit in erster Linie gekünstelt, skurril, übertrieben, geziert, kapriziös, geschraubt, absonderlich, kurios und abstrus, um nur einige der zahllosen Näherungsbegriffe zu nennen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte sich „Manierismus“ als neutral gemeinter Stil- und Epochenbegriff für künstlerische Entwicklungen nach dem Tod Raffaels bis hin zur Entstehung des Barock. Damals modernste Strömungen wie Expressionismus und Surrealismus taten dabei ein Übriges, um das Interesse an der Kunst des Manierismus zu befördern.
 
Die mit internationalen Leihgaben reich bestückte und exquisit auf farbigen Schauwänden präsentierte Frankfurter Schau macht deutlich, daß die konkreten Erscheinungsformen des Manierismus so unterschiedlich sind wie die Künstler, die dieser Epoche zugerechnet werden. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten. So wurde die Perspektive, in der Frührenaissance als ein korrektes Projektionssystem zur „objektiven“ räumlichen Darstellung der sichtbaren Wirklichkeit eingeführt, nun als Darstellungsmittel irrationaler Phantasien und als bildnerische Möglichkeit der illusionären Durchbrechung bzw. Überwindung der physikalisch-gegenständlichen Welt erkannt und genutzt. Und es kam ein neues Figurenideal in Mode, das nicht nur in zum Teil stark überlängten Proportionen fassbar ist, sondern auch und vor allem in Gestalt der sog. figura serpentinata, also Figuren in Form einer Serpentine, also in gewundener Schlangenform.  Ausgehend vom klassischen Kontrapost als kanonisch geregelter Bewegungsart wird das Bewegungsmotiv hier durch Drehung (Torsion) gesteigert und sozusagen multipliziert. Schon früh findet sich derlei bei Michelangelo, und die Frankfurter Ausstellung zeigt etliche Bilder manieristischer Maler sowie ein Terrakottamodell für Giambolognas Skulptur „Florenz triumphiert über Piasa“ – Arbeiten, in denen die „figura serpentinata“ prominent in Erscheinung tritt. Und es gibt Gemälde, die eine für den Manierismus typische, unterschwellige bis unverhohlene Erotisierungstendenz erkennen lassen – so beispielsweise bei Rosso Fiorentino, der ab 1531 Hofmaler des französischen Königs Franz I. in Fontainebleau wurde.


Porträtgalerie in der„Maniera“-Schau im Städel Museum Frankfurt

Wie schon erwähnt,  spielen in Frankfurt die Maler Jacopo Pontormo und Angelo Bronzino die Hauptrolle. Pontormo gehört zu jenen Künstlern des 16. Jahrhunderts, die an der Herausbildung des Manierismus in Florenz maßgeblichen Anteil hatten und zu den Hauptvertretern dieser Richtung gehören. Typisch war seine ablehnende Haltung gegenüber der klassischen Tradition bzw. sein die Klassik der Hochrenaissance subjektivierendes Kunstwollen, wie Arnold Hauser in seinem immer noch lesenswerten Manierismus-Buch von 1964 festgestellt hat. Neben hinreißenden Handzeichnungen und großartigen Bildern mit mythologischer Thematik, so etwa „Venus und Amor“ (um 1533) nach einem Entwurf Michelangelos, sowie Gemälden mit christlichen Themen wie der „Madonna mit Kind und dem Johannesknaben“ (um 1516/17), dem „Heiligen Hieronymus als Büßer“ (um 1528/29) oder der figurenreichen Komposition „Martyrium der Zehntausend“ (um 1529/30) zeigt das Städel eine Reihe meisterhafter Porträts des Künstlers, die von jenen seines Lieblingsschülers Agnolo Bronzino bestens ergänzt werden. Seit den späten 1530er Jahren Hofmaler der Medici, porträtierte Bronzino zahlreiche Angehörige des Herrscherhauses sowie andere hochgestellte Florentiner Persönlichkeiten. Leider fehlt in Frankfurt ein geradezu als Inbegriff manieristischer Malerei geltendes Gemälde Angolo Bronzinos, nämlich die

Agnolo Bronzino, Heiliger Sebastian, um 1528-29
„Allegorie der Liebe“ (auch „Allegorie mit Venus und Amor“) aus der Londoner National Gallery, doch wird der Besucher durch andere Bilder des Künstlers wie das erstaunliche „Bildnis des Andrea Doria als Neptun“ (um 1545/46) – es zeigt den berühmten Flottenadmiral bärtig als nackten Meeresgott mit Dreizack – oder das Gemälde „Heiliger Sebastian“ von 1528/29 entschädigt. Insbesondere letzteres macht die Neigung des Manierismus zu Paradoxien deutlich. Zwar befindet sich Bronzino hier in Übereinstimmung mit der Überlieferung, daß Sebastian, Offizier der Leibwache des Kaisers Diokletian und bekennender Christ, sein Martyrium, obwohl von Pfeilen numidischer Bogenschützen durchbohrt, zunächst überlebt habe. Das Paradoxe bei Bronzino besteht darin, daß der zwar breitschultrige, aber doch eher unathletische, lieblich anmutende Märtyrer, dessen linker Arm einen schlängelnden Linienfluss zeigt, trotz der Tatsache, daß sein Leib von einem Pfeil durchbohrt ist, nicht einmal andeutungsweise Schmerz erkennen läßt. Fern aller  forcierten „Muskelrhetorik“ Michelangelos präsentiert Bronzino seinen Protagonisten als unversehrten, graziösen Schönling, und es ist offensichtlich, daß hier die Darstellung des unglaublichen Wunders der göttlichen Errettung aus einer tödlichen Situation der subjektiven „maniera“ des Malers untergeordnet wurde.
 
Daß bei Michelangelo ansatzweise schon früh manieristische Tendenzen sichtbar sind, ist allgemein bekannt. Dies gilt nicht nur für seine Skulpturen und Gemälde, sondern auch für seine architektonischen Entwürfe. Die Frankfurter Ausstellung brilliert mit einem Architekturmodell im Maßstab 1:3 des Mitte der 1520er Jahre entworfenen Treppenhauses (Ricetto) der Florentiner Biblioteca Laurenziana, eines Bauwerks, das als Gründungswerk der manieristischen Architektur gilt. Die Wandgliederung zeigt – typisch manieristisch – auffallende Normabweichungen, ja geradezu Regelwidrigkeiten. So stehen, um nur ein besonders markantes Detail herauszugreifen, entgegen der klassischen Norm die gekuppelten Säulen in Mauernischen, während die Wandflächen selbst hervortreten. Das ist eine bewusste Umkehrung der „Normalität“, und das „Alogische“ und „Unorganische“ dieser Lösung setzt sich in einer Reihe anderer Formbildungen fort. Die Architekturgeschichte hat in diesem Entwurf Michelangelos nicht nur den Auftakt, sondern die „höchste architektonische Vollendung“ des Manierismus gesehen.
Es ist das Verdienst der Schau im Städel, Giorgio Vasari, der in seinen „Viten“ bewundernd über Michelangelo geschrieben hat, entgegen hartnäckigen Vorurteilen auch als qualitätvollen Maler und Zeichner des Manierismus in Erinnerung zu rufen. Erst in seinen späteren Lebensjahren fand er eine feste Anstellung am Hof Cosimos I. in Florenz, obwohl er schon um 1534 das eindrucksvolle Porträt des jungen Alessandro de‘ Medici in Rüstung und mit Feldherrenstab geschaffen hatte. Hervorzuheben ist sein Gemälde „Die Toilette der Venus“ (um 1558), dessen malerische Ausführung, insbesondere was die feinen Abstufungen des Inkarnats anbelangt, beeindruckt, das aber ohne Einflüsse Raffaels und Bronzinos kaum denkbar ist und insofern gewisse eklektizistische Züge trägt.


Giorgio Vasari, Die Toilette der Venus, um 1558
 
Sehr empfehlenswert ist das von dem Kurator der Ausstellung, Sebastian Eclercy, herausgegebene Katalogbuch mit einer Fülle hervorragend reproduzierter Farbabbildungen, drei größeren Essays und acht Kapiteln, die der Gliederung der Frankfurter Schau entsprechen und Analysen einzelner Exponate aus der Feder ausgewiesener Fachwissenschaftler enthalten. Dem Besucher der Ausstellung sind ästhetischer Genuss und manch frischer Blick auf die Kunst des italienischen Manierismus gewiss, und wer das Katalogbuch zur Hand nimmt, hat die Gelegenheit, das Gesehene im Nachhinein durch die instruktive Lektüre zu fundieren.
 
Fotos: Victoria & Albert Museum London (Giambologna) und Städel Museum Frankfurt (alle anderen)
 
Maniera. - Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici
Städel Museum Frankfurt
Katalogbuch hrsg. v. Sebastian Eclercy,
© 2016 Prestel Verlag , ISBN: 978-3-7913-5505-4
Museumsausgabe € 39,90, Buchhandelsausgabe € 49,95
 
Weitere Informationen:  www.randomhouse.de  -  www.staedelmuseum.de