Wuppertaler Literatur-Biennale 2016

Die ersten Tage

von Jürgen Kasten

Wuppertaler Literatur-Biennale 2016
 
Die ersten Tage
 
 
Während ich das hier schreibe, ist die Wuppertaler Literatur Biennale drei Tage alt und hat bereits neun Veranstaltungen hinter sich. Alle Veranstaltungen zu besuchen ist also nicht möglich – leider. Immerhin konnte ich am 26. Mai zwei Lesungen beiwohnen.
Um 11 Uhr stellte Hermann Schulz im Foyer des Opernhauses den syrisch-kurdischen Schriftsteller Helîm Yûsiv vor. Der Name ist ein Pseudonym. Yûsiv wurde 1967 in der kurdischen Stadt Amude in Syrien geboren. Er veröffentlicht seine Bücher in kurdischer Sprache und auf arabisch. Kurdisch wird in keiner Schule gelehrt, ist als Amtssprache verboten. Sie zu verstehen, zu lesen und zu schreiben, hat Helîm Yûsiv zu Hause bei seinen Eltern gelernt.


Helîm Yûsiv, Hermann Schulz - Foto © Jürgen Kasten

Keineswegs verbittert, eher anekdotisch erzählte er von den Schwierigkeiten, seine Bücher unters Volk zu bringen. Nachdem das mit seinen ersten beiden Büchern in Syrien nicht gelang, dachte er sich für das dritte einen Trick aus. Gedruckt wurde es in Syrien, das Impressum aber gaukelte eine Herstellung in Beirut, Lybien, vor. Mit bezahlten Schmugglern wurde es sodann über die Grenze hin und her gebracht und ist nun in Syrien als libysches Buch erhältlich. „Ich schreibe über ein Land, das vom Wagen der Geschichte gefallen ist und dann von der Geografie in beide Ohren gebissen wurde“, sagt der Autor.
„Zuflucht ist ein Menschenrecht“ war der Titel der Veranstaltung im Opernhaus. Helîm Yûsiv flüchtete im Jahr 2000, lebte zunächst in Berlin, erhielt dann eine Anstellung als Moderator eines kurdischen Senders in Wuppertal, wo er nun mit seiner Familie im Exil lebt. Ein Erzählband wurde bisher ins Deutsche übersetzt und liegt im Unrast Verlag vor (Der schwangere Mann, ISBN: 978-3-89771-853-1). Mit Hilfe seines Freundes Hermann Schulz sollen weitere folgen.
Einige Gedichte und eine Kurzgeschichte las Yûsiv sodann vor. Er hatte sie zusammen mit Freunden selber übersetzt.
Seine Lyrik erzählt von Flucht, Angst und Einsamkeit, der Tod ist immer gegenwärtig. Seine Kurzgeschichte spielt zu einer Zeit, zu der er als Jurastudent in Aleppo eine winzige Kammer in einer Wohngemeinschaft sein eigen nannte. Die Mitbewohner betätigten sich konspirativ politisch. Als sie eines Tages seine Kammer einmal wöchentlich für sich einforderten, glaubte Helîm, er gehöre nun endlich zu ihrem Kreis und trage zum politischen Umbruch in seinem Heimatland bei. Sein Glaube reichte nur bis zu diesem Tag, an dem er feststellen musste, daß die Kameraden das Zimmer nur benötigten, um sich dort wechselseitig mit Mädchen zu vergnügen.
Eine heitere Geschichte mit bitterem Hintergrund.
In der anschließenden Diskussion, in der er gefragt wurde, wie er die Lage in der Türkei einschätze, in der er auch eine Zeitlang lebte und in der die Kurden auch unterdrückt werden, antwortete Helîm Yûsiv: „Die Türkei hat ein Problem und das Problem heißt Erdogan.“
Seine Vorstellung wurde mit viel Applaus gefeiert und fand im vollbesetzten Saal ungeteilte Zustimmung. Ebenso die anschließend vorgeführten drei Kurzfilme, die Andreas von Hören vorstellte. „Hin und weg“, preisgekrönte Filme des Medienprojektes Wuppertal, hergestellt von jungen Leuten, dokumentieren die katastrophalen Zustände in einem Lager in Calais, von wo aus überwiegend junge Flüchtlinge versuchen, nach England, zu ihren Angehörigen zu gelangen.


Luca Swieter, Literatur-Biennale 2016 - Foto © Jürgen Kasten
 
Am Abend des gleichen Tages dann der „Biennale-Themen-Slam“ in der Utopia Stadt des Mirker Bahnhofes. Jörg Degenkolb-Değerli hatte sechs Poetry-Slammer aus Wuppertal, Bochum, Essen, Aachen und Xanten zum Wettstreit geladen. In einer dreistündigen „Redeschlacht“ kämpften sie auf dem Podium des proppenvollen Café Hutmacher um die Gunst der Zuhörer. Jan-Philipp Zimny, immerhin der amtierende Deutsche-Slam-Meister, begeisterte mit der wechselhaften Geschichte Wuppertals und stellte fest: „...wenn Gott jetzt ein Auge auf Wuppertal wirft, weint er vor Freude und er schaut oft auf Wuppertal.“
Zimny selber schaute am Ende etwas enttäuscht in die Menge, denn gewonnen hat jemand anderes. Die Entscheidung lag beim Publikum und das konnte sich nicht recht zwischen Sandra da Vina aus Essen und Luca Swieter aus Aachen entscheiden. Man einigte sich auf Luca, die ihre Texte letztendes einen Hauch prägnanter vorstellte.
Jörg Degenkolb-Değerli moderierte und trug zuvor außer Konkurrenz einen eigenen Text vor, in dem er die aberwitzige Jugendsprache heutiger Zeit persiflierte.
Ein rundherum gelungener Abend, der niemanden enttäuschte, auch nicht mit dem durchaus unterschiedlichen Niveau der vorgetragenen Texte.