Sommer in der Stadt

von Peter Altenberg

Peter Altenberg
Sommer in der Stadt
 
Ziemlich unglücklich fühlt man sich an Sommerabenden in der Hauptstadt. Wie zurückgesetzt. Wie übergangen. Zum Beispiel gehe ich abends durch die Praterstraße! Wie wenn ich und die Passanten bei der Lebensprüfung durchgefallen wären und ---, während die guten Schüler die Ferien genießen dürften zur Belohnung. Wir aber dürfen nur träumen:
„Oh Meeresschäumen an alten Holzpiloten; oh kleiner See in Einsamkeiten; oh Lichtungen mit dünnem Wiesengrunde und braunen Moorlacken, wo jeder Hofmeister sagt: Siehst du! Hier kommen abends Hirsche zur Tränke“. Oh Holunderstauden mit schwarzen Bockkäfern und kleinen metallischen Bergkäfern und verlausten Rosenkäfern und hellbraunen Bergesfliegen, an Bächen, welche über große Steine rutschen in ziemlicher Eile! Und der Holunder nährt Insekten-Welten! Oh zweiundzwanziggrädige Quelle im offenen Bassin, auf dem die Lindenblüten schwimmen; denn die Allee zum Bade ist voll von Linden, und alles ist erfüllt mit Lindenblüten! Weißes Segelleben in lackierten Jachten! Die Damen bekommen teint ambré. Alles entfettet sich. Wer siegt in der Regatta?! Risa, gib mir die Hand über den Steg. Mittags mit zehntausend Tonnen Sonnenhitze, wie das Gewicht von Schlachtschiffen; Nachmittage mit Aprikosen, Weichsel, Edel-Stachelbeeren; Abende wie Gießhübler; Nacht --- hörst du die Schwäne ihre Schnäbel öffnen und schließen?! Und wieder die Schwäne ihre Schnabel öffnen und schließen? Und nichts mehr ---.
Wir aber gehen durch die Praterstraße in der Hauptstadt. Acht Uhr abends. Wie lauter zugrundegehende Kaufläden an beiden Seiten. Pfirsiche neben Matjesheringen. Korbwaren, Seebadhüte. Schwarze Rettiche. Bicycles blinken überall. Als ob die Luft, wie in Parfümfabriken das Fett mit Veilchenduft, sich vollgesogen hätte mit Gerüchen von Erdäpfelsalat, Teer zwischen Granitpflaster, und mille-fleur de l'homme épuisé! Bogenlichter mit Ambitionen von Glühwürmern in Sommernächten machen die Sache nicht besser. Ans Licht gebrachtes Sommerelend! Laß es im Dunkeln, bitte, in schweigenden Schatten! Bogenlichter aber schreien: „Da sehet!“ Sie kreischen die Dinge des Lebens, plaudern alles aus mit ihrem weißen Licht!
 
 
Peter Altenberg