Warum Not erfinderisch macht

Sinnfragen

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Warum Not erfinderisch macht
 
Der Mensch an sich ist undankbar. Gibt es in seinem Kosmos eine Neuheit, ist sie zunächst so überflüssig, daß er sie am liebsten geteert und gefedert durchs Dorf jagen würde. Hat er ihre Vorteile erkannt, schweigt er - als habe er nie anderes behauptet als: Gut, daß wir es haben. Das war so mit Kontaktlinsen, mit Schnellzügen, mit amerikanischen Schnellrestaurants, Handys, Herzschrittmachern. Alles Erfindungen übrigens. Erfindungen? Gewiß doch. Es gab im Leben all dieser Errungenschaften jene bange Stunde, in der ihre Schöpfer - meist weißhaarig, zerzaust und alleinstehend im schäbigen Versuchskeller - sich fragten: Braucht das der Mensch? Legenden ranken sich darum: Jahre sollen vergangen sein, bis der Frauenparkplatz in Serie ging. Der Prototyp war rund und doppelt so groß wie sein männliches Gegenstück. Kinderkrankheiten vor der Marktreife. Gedankenlos nutzten Wie die Werke verhuschter Tüftler. Wer nimmt ihre Tragik wahr? Die Erfindung der Papiersorten etwa, sie wird einem gewissen Cai Lun zugesprochen. Es war am Hofe des Kaisers von China. Cai Lun war Eunuch. Wann war der Satz „Not macht erfinderisch“ je so wahr wie damals? Gedenken wir jener Erfinder, die im Patentamt auf taube Ohren stießen, weil ein verstockter Bürokrat nicht einsehen wollte, wie sehr die Menschheit nach einem Taschentuch für Linkshänder lechzte. Oder nach Erbsen mit Mettwurstgeschmack. Erfinden heißt, Menschen dienen. Eine der letzten ernst zu nehmenden Errungenschaften „Der sprechende Sicherheitsgartenzwerg mit Infrarotaugen“. Sie lachen? Geben Sie ihm eine Chance - und in einem Jahr wissen Sie nicht, wie Sie je ohne ihn leben konnten.
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.