Was am Leben riskant ist

Sinnfragen

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Was am Leben riskant ist
 
Die Dinge, die man eine Ewigkeit vor sich herschiebt, sind ja immer die gleichen: Friseur, Steuererklärung, Flurwoche, Abitur. Das hat viele Gründe: Ein zentraler mag sein, daß das zu Erledigende unangenehm ist. Zwar wird es nicht angenehmer durch Aufschub - aber worin sind wir geübter als in Verdrängung? Wie ich darauf komme? Der führende Posten meiner Verdrängungshitliste hat sich nicht länger schieben lassen. Man hat das Alter. Man trägt Verantwortung. Es schlägt: die Stunde der Lebensversicherung. Es mag meiner Neigung zum Glücksspiel zuzuschreiben sein, daß der Beratungstermin, den ich mir schließlich geben ließ, der Risikolebensversicherung galt. Risiko, das klang nach spielen und gewinnen. Aber was soll ich sagen, seither ist Zerrissenheit mein Los. Denn wenn ich das richtig verstanden habe, ist es so: Das beste Geschäft mache ich, wenn ich abschließe, ein paar Raten zahle und plötzlich umfalle, zum Beispiel nächste Weihnachten. Der Vorteil: wenig reingetan, viel rausgeholt. Der Nachteil: Ich bin tot. Dabei feier ich so gern Silvester. Die schönen Raketen! Das schlechteste Geschäft mache ich dagegen, wenn ich ein Leben lang einzahle. Viel reingetan, das Gleiche rausgeholt. Und tot bin ich bei der Auszahlung außerdem. Daher wohl der Name Risiko.
Mir dreht sich alles. Vor meinem Auge munter lachende Erben und täglich diese Unsicherheit: Ist es vernünftig, daß ich noch da bin - oder im Grunde rausgeschmissenes Geld? Am Ende habe ich´s kapiert. Das Geld kriegt immer jemand, bloß nicht ich. Unglaublich. Und alle Wissen das. „Das ist ganz normal“, sagt der Versicherungsfritze lächelnd und hält mir den Federhalter hin. Für mich ist der Mann gestorben.
 
 
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.