Was Tiere womöglich für sich behalten
Wußten Sie, daß Meerschweinchen gähnen? Ich weiß es auch erst seit gestern. Mein Bus kam nicht, ich schaute verzagt ins Schaufenster einer Zoohandlung. Und ein Meerschweinchen gähnte. So lernt der Mensch durch Beobachtung. Meerschweinchen können gähnen. Ich bin nicht sicher, warum es gähnte. Was weiß man schon voneinander? Man kennt sich ja kaum mehr als vom Sehen.
Was so ein Meerschweinchen wohl denkt und fühlt? Oft habe ich gehört, daß in den Tieren uraltes Weltwissen ruht: in Minervas weiser Eule, in Ibykus' Kranich oder dem Terrier von Robert Lembke. Tiere sind wissend, aber sie reden nicht darüber. Wir sind anders. Kaum hat ein Kollege begriffen, was es mit der grenzüberschreitenden Verlustrechnung auf sich hat, hört er nicht auf, davon zu plappern. Auch wenn die anderen bloß in der Kantine ihr Nudelgericht verzehren wollen. Wäre er doch ein Lurch. Tiere können Dinge für sich behalten. Das ändert sich bloß im Notfall. Siehe Gänse, siehe Kapitol.
Tiere sind klug. Wir müssen fragen, wo in einer fremden Stadt die Goethestraße oder ein öffentliches Klo ist. Bei einem Tier reicht der Instinkt. Aber wo endet das Wissen der Kreatur? Weiß das Meerschwein, daß es in Gelsenkirchen gähnt? Weiß es, daß es sterblich ist und die Gesundheitsreform schon wieder nachgebessert wird? Hält es die Menschen am Bus für niedere Wesen, weil es längst weiß, wann die Welt untergeht, warum ein Brot immer auf die Butterseite fällt oder ob der Papst ein Schwarzer wird?
Es gab noch viel zu bedenken. Aber der Bus kam. Ich unterdrückte ein Gähnen - für einen kleinen Moment fühlte ich mich dem Meerschweinchen sehr, sehr nah.
© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.
Mit diesem Text geht die Kolumne zu Ende, mit der Lars von der Gönna Sie und uns wöchentlich zwei Jahre lang köstlich unterhalten hat. Wir bedanken uns mit einem artigen Kratzfuß. Es hat Spaß gemacht! |
Das Feuilleton
04.11.16
