Die Undurchschaubarkeit der Mächtigen

John Williams – „Augustus“

von Johannes Vesper

Macht und Glück
 
Im Ernst: Ärzte hat Octavian (63 v.-14 n. Chr.) nicht gebraucht. Er mochte das „widerliche Pack“ auch nicht, das nur stinkende Kräuter, heiße oder vor allem auch eiskalte Bäder verschrieb, mit lässiger Heuchelei die Patienten täuschte und sich die Taschen füllte. Alle seine Ärzte hat er überlebt. Aber „Augustus“ von John Williams ist kein historischer Rom, keine Geschichte des historischen Kaisers Augustus, kein Beleg für die Moral und Ethik der römischen Ärzte. Briefe, Tagebücher, Senatsbeschlüsse, Militärbefehle sind Fiktion, reine Literatur. Sachliche historische Fehler sind vom Autor beabsichtigt. Was sich also im 1. Jahrhundert wirklich abgespielt hat, erfährt man aus dem Roman nicht. Aber Literatur müsse unterhalten und Lesen ohne Vergnügen sei stupide, wird John Williams (1922-1994) zitiert.

Er arbeitete als Redakteur, bevor er 1942 im 2. Weltkrieg in die Luftwaffe der USA eintrat, studierte nach dem Krieg in Denver, schloß mit einem Master in Geisteswissenschaften ab, erhielt eine Professur für Englische Literatur an der University of Missouri, später an der University of Denver, und gab u.a. eine Anthologie englischer Renaissance-Dichtung heraus. Von seinen 4 Romanen, wurden „Stoner“ (1965) und „Augustus“ (1972), welcher erst jetzt auf Deutsch erschien, international bekannt. In beiden Büchern geht es um die Lebensgeschichte von Männern. Während es Stoner, aus bäuerlichen Verhältnissen stammend, zu einem Professor für englische Literatur schafft (autobiographischer Roman? ), bringt es Augustus, der Adoptivsohn des großen Julius Caesar, zum römischen Kaiser.
Neunzehnjährig rettete er mit eigenem Heer die römische Republik Rom zu ersten Mal vor einer machtbesessenen Clique. Nicht aus Gründen des eigenen Vorteils, nicht um Macht oder Reichtum zu erlangen, wollte er ehrgeizig die Welt ändern. Mehr Reichtum als für die eigene Bequemlichkeit notwendig erschien ihm langweilig. Eine weinüberwachsene Laube, genügend Einkommen für exzellenten Wein, womit Maecenas den Ovid ausgestattet hatte, hätten ihm auch gereicht. Von Umständen und Zufällen begünstigt, habe das Schicksal nach ihm gegriffen. Dem habe er sich nicht entziehen wollen, und so habe er sein Leben geführt, wie er es geführt habe. Von kränklichem Naturell, fühlt er sich am Ende seines langen Lebens - er starb mit 77 Jahren - trotz seines glänzenden Lebenserfolges ganz allein, getrennt von allen andern, beklagt seine fehlenden Zähne, seinen Händetremor und seine Kraftlosigkeit, leidet unter Schlaflosigkeit. Er beklagt die Leere seines Gemüts, mochte seine erste Frau nicht, hielt sie für mißtrauisch, eiskalt, und übellaunig. Als Komödiant habe er sein Leben verbracht, all sein Wirken sei vergebens gewesen. Seine geliebte Tochter Julia bestraft er nach seinen eigenen Gesetzen hart wegen Ehebruchs. Er beklagte den anhaltenden Kampf und Streit der politischen Parteien untereinander sowie die Unzufriedenheit der Römer mit ihrem Leben trotz Frieden, Wohlstand und Freiheit, die er Rom gebracht hatte.

Den Rückblick auf sein Leben schrieb Augustus als fiktiven Brief an seinen Freund Nikolaos von Damaskus, mit nur wenig Personal allein auf seiner Yacht während einer Seefahrt entlang der italienischen Küste Richtung Neapel. Im Hinblick auf Kultur, Gesetzgebung und Kultur beruht auf Augustus noch nach 2000 Jahren die Idee Europas. Aber im Hinblick auf sein Lebensglück geht es dem mächtigen Weltherrscher Augustus nicht besser als dem in bescheidenen Verhältnissen lebenden amerikanischen Englischprofessor Stoner und auch nicht besser als uns. Die Einsamkeit dieses höchst erfolgreichen Augustus, der Zerfall seiner Familie, die Isolation des Menschen bei Williams erinnern an Botho Strauß´  „Fabeln von der Begegnung“. Und der alte Leibarzt Philippus, in dessen Armen Augustus verstarb, überlebt den furchtbaren Tiberius wie den geisteskranken Caligula und hofft Jahrzehnte nach dem Tode des Augustus, daß dessen Traum von Freiheit, Wohlstand und Frieden sich jetzt endlich unter dem neuen Kaiser erfüllen wird. Der neue Kaiser Roms hieß damals Nero und heißt seit dem 8.11.2016 in den USA Trump.
Der Augustus- Roman in Briefen ist, wie erwähnt, kein historischer Roman. Die Welt wird im Gewande des 1. Jahrhunderts vor Christus in Rom beschrieben. Die Undurchschaubarkeit der Mächtigen, ihre Intrigen, Klatsch, Sexualität, strategische Ehen, Mord, Egoismus und ihre Dummheit  gehören zu den wenigen literarischen Themen, die damals wie heute faszinieren.
Zeittafel und das „who his who“ im alten Rom erleichtern die Orientierung in der Geschichte des Augustus. Ein Lesevergnügen.
 
John Williams – „Augustus“
Roman - Aus dem Englischen von Bernhard Robben, mit einem Nachwort von Daniel Mendelsohn
© 2016 dtv Literatur, 480 Seiten, gebunden - ISBN 78-3-423-28089-1
24,00 € [DE], EUR 24,70 € [A]

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