Beckfelds Briefe

An Martin Brambach

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Lieber Martin Brambach,
 
mit Ihrem blassen Gesicht und den wild-stoppeligen Barthaaren, mit dem müden, nachdenklichen Blick und zuweilen mit Ihrem verkniffenen, unsicheren Lächeln, bei dem sich Ihre Augen zu Schlitzen zusammenziehen, mit  Ihrer bescheidenen und doch ungebändigten Haarpracht  könnten Sie auch als Schichtarbeiter durchgehen, der am Ende des Tages mit dem Zug nach Hause fährt; oder als frustrierter, vom öden Alltag aufgeriebener Versicherungsvertreter, chronisch erfolglos, dem Schicksal widerstandslos ergeben; der das Beste, was auch schon nicht gut war, hinter sich hat; oder als Ehemann, der still vor sich hin leidet und sich nicht wehrt, wenn ihn seine Ehefrau betrügt, weil er mehr als alles andere das Alleinsein fürchtet.
Mir geht es, wie es wohl vielen geht: Ihr Gesicht kenne ich, kann es Rollen, Charakteren, Figuren zuordnen: Sie sind der Verlierer, nie lächerlich, eher traurig-komisch, mit einem  unvergleichlich schallenden Lachen. Der Bösewicht, abgrundtief fies, illusionslos, doch häufig selbst leicht verletzlich. Aber auch, ganz wichtig, der Mann für die zweite Reihe, der mit einem einzigen Blick unsere Aufmerksamkeit aufsaugt; dem zwei, drei Sätze genügen, um zu punkten; der sich mittlerweile für Hauptrollen aufdrängt und mit Preisen überhäuft wird.
Trotzdem. Martin Brambach? Wer? Für mich sind Sie der bekannteste unbekannte Schauspieler, der uns so viel zu erzählen hat, auch wenn er schweigt. Auf der Bühne, im Leben. Geboren im Osten, Ausreise in den Westen, die Schule ohne Abitur geschmissen, über die eigenen Verhältnissen gelebt, Schulden gemacht, die schnelle Theaterkarriere, gescheiterte Ehe in Berlin, Neustart. Patchworkfamilie in Recklinghausen. Und allem voran die Entdeckung des Verrats, der Lüge der Eltern. Mit zwölf Jahren finden Sie auf der Suche nach irgendetwas anderem im Schrank ein Dokument über eine Vaterschaft, das Ihnen  die Wahrheit vor Augen führt. Eine Wahrheit, die schmerzt, die schwer zu verdauen ist, die einen ein Leben lang aus der Bahn werfen kann. Es muß ein nicht nachzuempfindendes Auf und Ab der Gefühle gewesen sein. Karlheinz Liefers, der Vater, der nicht Ihr Vater ist und für Sie doch immer der Vater bleibt; der nun zugeben muß, daß Sie nicht sein Sohn sind. Dann das Treffen mit dem neuen, dem wahren Vater, mit dem Sie sich verstehen, der aber der Jürgen ist, nicht mehr und nicht weniger.
Alles kommt heraus, auch daß Karlheinz Liefers noch einen Sohn hat, der ohne seinen Vater aufwuchs. Jan Josef, Ihr Stiefbruder, ist so anders als Sie; einer, den Sie bewunderten, dem Sie nacheiferten. Jan Josef kann irre Gitarre spielen, Zigaretten drehen, hat eine hübsche Freundin. Auch er wird Schauspieler, bekommt serienweise Haupt- und Paraderollen, nicht nur als  Professor Karl-Friedrich Boerne im Münsteraner Tatort. Er ist der Liebling der Frauen, die vor allem seinen Humor lieben.
 
Lieber Martin Brambach,
in jeder Szene, mit jedem Satz, da spüre ich, daß Sie sich in Ihre Rollen hineinknien; daß Sie mit den schrägen Typen, die Sie spielen, mitfühlen, weil Sie selbst schon so häufig den Halt verloren haben. Mit Regisseuren ringen Sie um jedes Wort, um jede Geste, weil Sie uns Zuschauer, weil Sie sich selbst nicht belügen wollen.
 
Mit besten Grüßen
Hermann  Beckfeld
 


Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin dieser Zeitung.