Ein seltsam prickelnder, Unbehagen erzeugender, faszinierender Film

„Gleißendes Glück“ von Sven Taddicken

von Renate Wagner

Gleißendes Glück
(Deutschland 2015)

Regie: Sven Taddicken
Mit: Martina Gedeck, Ulrich Tukur, Johannes Krisch, Hans-Michael Rehberg
 
Das Thema ist peinlich, so peinlich, daß sogar viele Rezensenten des Films es nicht verbal ansprechen, sondern drumherum schreiben. „Gleißendes Glück“ – der Titel verheißt jedenfalls anderes. Etwas Helles, Begeisterndes. Nichts so Düsteres, „Schmutziges“ wie Sexsucht. Die, wie man hier sieht, durchaus auch hoch gebildete Menschen mit großartiger Fassade nach außen überfallen kann, in ihnen lauern, ihr Leben aus dem Gleichgewicht bringen. Eine Sucht letztendlich, etwas zu Bekämpfendes. Weil man sich – zu Recht, auch wenn man „nichts dafür kann“ – dafür geniert. Weil man weiß, was sie mit einem anrichtet.
Die Verfilmung des Romans der schottischen Autorin A. L. Kennedy, den Regisseur Sven Taddicken verlustlos nach Deutschland versetzt hat (weil er in jeder so genannten „zivilisierten Gesellschaft“ spielen könnte), beginnt allerdings mit einer Frau, mit Helene Brindel, die in einer mittelgroßen Stadt in einer Siedlung wohnt und sich in der bürgerlichen Realität findet, mit ihrem aggressiven Ehemann weidlich unglücklich zu sein. Dieser ist so besitzergreifend, daß er ihr nicht einmal den katholischen Glauben gönnen möchte, zu dem sie flüchtet. Und sie flüchtet auch in allerlei psychosomatische Folgeerscheinungen wie Schlaflosigkeit. Kurz, das ist eine Situation, in der man Hilfe sucht.
 
Wenn nun Helene im Radio einen Psychologieprofessor hört, der sinnigerweise Eduard E. Gluck heißt und in Bestsellern mittels Ratgeberworten über das „Glück“ spricht, das alle Welt sucht und kaum jemand zu finden scheint, dann ist es ihr die Sache sogar wert, nach Hamburg zu fahren, um ihn bei einem Vortrag „live“ zu hören. Schließlich verspricht er ja, daß man sich das eigene Hirn nach Wunsch „umprogrammieren“ könne…
Daß sie ihn nach der Lesung anspricht, ist glaubhaft – wie sich die Beziehung der beiden anläßt und entwickelt, das raschelt schon nach Papier, aber die Geschichte ist nun einmal, wie sie ist, und sie erzählt von der unsicheren bürgerlichen Frau, die von dem Mann, den sie irgendwie bewundert, schließlich mit seiner Sexusucht konfrontiert wird. Und sie läßt sich darauf ein, Hilfestellung bei einem gesuchten Heilungsprozeß zu liefern. Was sind schon ihre Probleme gegen die seinen?
Nicht zu erspielen, würde man meinen, schon gar nicht von einem so ruhigen, freundlichen, Durchschnittlichkeit ausstrahlenden Geschöpf, wie Marina Gedeck es auf die Leinwand bringt, und von Ulrich Tukur, einem Schauspieler, den man (nicht zuletzt durch seine jüngsten „Tatorte“) zwar als Grenzgänger kennt, dessen blond-deutsche Ausstrahlung aber doch letztlich schlechtweg positiv ist.
 
Wie gleiten die beiden hier durch die filmischen Abgründe, in Worten, in Szenen, die letztlich erschreckend sind, wenn der Professor klar machen muß, daß er ohne Pornographie schier nicht leben kann, daß das Onanieren zu Gewaltpornos zu seinem Alltag gehört, und daß es gewisse Dinge gibt, die er sich von Helene wünscht…?
Nun, sie spielen das natürlich erstaunlich, menschlich wagemutig auf der Suche nach wahrem Glück, wobei das Duett immer wieder durch den vor Intensität schier brüllenden Johannes Krisch als verzweifelten, seine Frau nicht erreichenden Ehemann zum Terzett erweitert wird (während Hans-Michael Rehberg als alter Mann im Obstgarten nur eine Marginalie ist, ein Partikelchen von Helenes alltäglichem Leben).
Wie glaubhaft wird das alles? Trotz der Darsteller – nein, als Geschichte nicht wirklich. Aber es ist ein seltsam prickelnder, Unbehagen erzeugender, faszinierender Film, gerade weil Regisseur Sven Taddicken ihn so unheimlich ruhig und unaufgeregt darbietet. Und das ist schon was.
 
 
Renate Wagner