Loïe Fuller: einen Film wert

„Die Tänzerin“ von Stéphanie Di Giusto

von Renate Wagner

Die Tänzerin
(La Danseuse - Belgien, Frankreich, Tschechien2016)

Regie: Stéphanie Di Giusto
Mit: Stéphanie „Soko“ Sokolinski, Lily-Rose Depp, Gaspard Ulliel, Mélanie Thierry u.a.
 
Die Nachwelt ist nicht gerecht. Sie hat Loïe Fuller vergessen, obwohl Toulouse-Lautrec sie porträtierte – aber da war sie wohl nur eine von vielen. Als Tänzerin, die wohl auch ein „Show Star“ war und innovativ und kreativ in ihrem Bühnenauftritt arbeitete, kennt man sie nicht mehr, sehr wohl aber Isadora Duncan, die in ihrer Truppe begann und als Weltstar des Modern Dance bis in die Gegenwart strahlt.
 
Nun, Loïe Fuller war Stéphanie Di Giusto einen Film wert, ihren ersten, und es ist für das Verständnis der Geschichte und deren Umsetzung auf der Leinwand sicher dienlich, daß die Regisseurin auch in der Foto- und Modebranche tätig war.
Loïe, die als Marie Louise Fuller 1862 in Illinois zur Welt kam, wird von Stéphanie Sokolinski, bekannt als Sängerin „Soko“, gespielt. Sie ist herb, fast männlich, man glaubt ihr das Cowgirl im ländlichen Amerika, als das sie zu Beginn vorgestellt wird. Für die Wandlung zur Künstlerin bringt sie vor allem glaubhaft die Sturheit und Entschlossenheit mit, ihren Traum durchzuziehen.
Man weiß zu wenig über Loïe, wenn man den dem Film zugrunde liegenden Roman nicht gelesen hat. Vielleicht hat sie tatsächlich als Statistin in einem New Yorker Theater begonnen, wild über die Bühne zu tanzen, und damit so viel Applaus gelernt, daß sie dies nun in größerem Ausmaß machen wollte. Jedenfalls war sie keine Tänzerin im herkömmlichen Sinn – sie kleidete sich in riesige Stoffbahnen, die sie an langen Bambusstangen befestigte, die sie zu rauschhafter (von ihr selbst inszenierter) Beleuchtung mit mitreißendem Effekt schwenkte – im Film hinreißend gezeigt, wird man an die Wunderwerke des Cirque du Soleil erinnert.
Loïe Fuller war entschlossen genug, nach Europa zu gehen, in Paris die Widerstände von Theaterdirektoren zu überwinden. Sie landete von den Folies Bergère kommend an der Pariser Oper, hatte ihre eigene Truppe junger Mädchen, die mit ihr tanzte, kreierte Gesamtkunstwerke aus Kostümen, Ausstattung, Licht. Welche Opfer sie körperlich (mit der entsetzlichen Belastung ihres Knochengestells durch die Stangen und Bewegungen, ihrer Augen durch die hellen Scheinwerfer) und seelisch (die nie endenden Kämpfe und Widerstände) brachte, wird überzeugend klar gemacht, mit allen extremen Stimmungstiefs und Verhaltensweisen.
 
Der Film zeigt natürlich auch Privates – wie sie in Gabrielle Bloch (Mélanie Thierry) eine treue, unerläßliche Mitarbeiterin fand, wie sie den morphiumsüchtigen Grafen Louis d’Orsay (Gaspard Ulliel) hinter sich her schleppte, vor allem aber, wie sie Isadora Duncan begegnete und von dieser gezielt als Sprungbrett benützt und dann ausgetrickst wurde.
Diese Isadora spielt die junge, zarte Lily-Rose Depp, gerade mal 17 Jahre alt, die ihre Abstammung nicht verleugnen kann: Sie hat die Augenpartie ihres Vaters Johnny Depp, die unverkennbare Mundpartie ihrer Mutter Vanessa Paradis, vor allem aber Talent von beiden, denn sie liefert eine hinreißendes Studie der Berechnung im Gewand der Unschuld.
Nach Isadoras Abrauschen in Richtung Weltruhm bleibt Loïe zurück, und der Film ist zu Ende – seltsamerweise hat die Regisseurin das Milieu der Pariser Künstler, in dem Loïe Fuller sich bewegte, ausgespart. Und auch, daß sie bis 1928, dem Ende ihres 66jährigen Lebens, noch eine Karriere als Choreographin fremder Ballette vor sich hatte. Kurz, man bekommt Loïe Fuller nur partiell, aber jedenfalls interessant genug dargeboten, daß man gerne eine Biographie über sie lesen würde.
 
 
Renate Wagner