Beckfelds Briefe

An Chesley Sullenberger

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Am 15. Januar 2009 wurde er der Held vom Hudson, das Idol einer ganzen Nation: Chesley Sullenberger wagte mit seinem Flugzeug die Notlandung auf dem Fluß mitten in New York und rettete allen 154 Passagieren das Leben. Konsequenterweise hat der Amerikaner seinen Flug acht Monate nach der verhinderten Katastrophe zu Ende gebracht. Da flog er erstmals wieder - natürlich wie im Januar mit einer A320.
Am 23.1.2016 schrieb Hermann Beckfeld einen offenen Brief an Chesley Sullenberger:
 
Sehr geehrter Chesley Sullenberger,

herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 65. Geburtstag. Ich bin sicher, heute bekommen Sie Post aus aller Welt. Schließlich sind Sie das Idol einer ganzen Nation, sind Sie der Held vom Hudson. Der Pilot, der 154 Passagieren das Leben rettete.
     Dreieinhalb Minuten haben ausgereicht, um Sie berühmt zu machen; um Ihr Leben für immer zu verändern. Sie haben Ihre Geschichte tausendmal erzählen müssen und in einem Buch aufgeschrieben; aber kann ein anderer wirklich nachempfinden, was Sie an jenem 15. Januar 2009 gefühlt haben? Als kurz nach dem Start vom New Yorker Flughafen LaGuardia ein Schwarm Kanadagänse beide Triebwerke des Airbus A320 lahmlegte. Als Sie, der Chefpilot, in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen mußten. Rasch verwarfen Sie den Gedanken, nach LaGuardia zurückzukehren oder die Landung auf dem Airport Teterboro in New Jersey zu wagen. Wie Sie später verrieten, hatten Sie dies in Erwägung gezogen, um das Flugzeug und somit 145 Millionen Dollar zu retten. Doch für eine erfolgversprechende Landung fehlte der Schub: „Als diese Option wegfiel, war ich freier und willig, den Airbus zu opfern.“
     Es waren die Sekunden, in denen Sie niemandem mehr zuhörten, nicht Ihrem Copiloten, nicht dem Fluglotsen. Sie schotteten sich ab, blendeten alles aus, um die einzige Ihnen verbleibende Alternative mental vollständig zu akzeptieren: eine Notwasserung auf dem Hudson. „Der Fluß war meine letzte Chance.“ Erst kurz vor der Landung zwischen den Wolkenkratzern von New York nahmen Sie sich Zeit, die Passagiere mit einem Satz zu informieren: „Hier spricht der Kapitän, nehmen Sie die Schutzhaltung für eine Notlandung ein.“
     Der Rest, er geht in die Geschichte ein. Möglichst sanft setzten Sie den A320 aufs Wasser auf, mit erhobener statt eingetauchter Flugzeugnase, um zu verhindern, daß die Maschine rapide abgebremst wird und dadurch die Sitze der Passagiere durch die Kabine schießen; es hätte sicherlich Tote gegeben. Zwei Dinge haben mir neben Ihrer fliegerischen Glanzleistung so sehr imponiert. Obwohl das 75 Tonnen schwere Flugzeug in den Fluten zu versinken drohte, kämpften Sie sich nach der Landung zweimal durch das schon hüfthohe eiskalte Wasser im Innenraum. Sie überzeugten sich, daß auch wirklich alle 154 Menschen sicher von Bord gekommen waren. Und dann, völlig durchnäßt, gaben Sie wie selbstverständlich einem frierenden Passagier Ihren Mantel; die Außentemperatur lag bei minus sechs Grad Celsius.        
     Ich glaube, nur das Leben schreibt solche Drehbücher. Niemand kann erfinden, daß ausgerechnet Sie im Cockpit saßen, ein erfahrener Pilot mit mehr als 20 000 Flugstunden, ein Experte in Sicherheitsfragen und Ausbilder innerhalb der Pilotenvereinigung, der Hunderte von Besatzungsmitgliedern im Verhalten bei Notfällen geschult hat. Zeitgleich waren Sie jedoch auch frustriert, machten sich Sorgen, wie Sie Ihre Familie, Ehefrau Lorrie und die beiden Adoptivtöchter Kate und Kelly, versorgen können. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und der Krise der gesamten Luftfahrt hatte Arbeitgeber US-Airways Ihr Gehalt um 40 Prozent verringert, die Pensionsansprüche um zwei Drittel gekürzt. Sie verpachteten Land, aßen auf Flügen mitgebrachte Brötchen.
     Ich will nicht verschweigen, warum mich Ihre Heldentat besonders gerührt hat. Keine zwei Wochen vorher hatte ich meine Tochter Lisa nach ihrem Schüleraustausch aus South Carolina abgeholt. Auf dem Flug von Columbia nach Chicago geriet unser Flugzeug in ein schweres Unwetter. Wir hatten furchtbare Angst. Es war ebenfalls ein Airbus A320.
 
Lieber Chesley Sullenburger,

für Ihre Landsleute sind Sie Sully; einer, auf den sie stolz sind, den sie verehren. Weil Sie Verantwortung vorleben, für Disziplin und Erfahrung stehen, kein Star sein wollten, stattdessen lieber Ihr Team loben. Ihre Leidenschaft fürs Fliegen wird nie enden. Acht Monate nach der Notlandung sind Sie erstmals wieder geflogen. Neben Ihnen im Cockpit des A320 saß wie am 15. Januar der erste Offizier Jeffrey Skiles, Ihr Fluglotse war erneut Patrick Harten. „Wir wollten“, sagten Sie, „den damals begonnenen Flug zu einem guten Ende bringen.“ Ein Chesley Sullenberger macht keine halben Sachen.
 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.