„Kruder Expressionismus“

Clifford Holmead Phillips in der Von der Heydt-Kunsthalle Wuppertal-Barmen

von Rainer K. Wick

Holmead, Dampfer, 1967 - Foto © Rainer K. Wick

„Kruder Expressionismus“
Clifford HOLMEAD Phillips
 
in der Von der Heydt-Kunsthalle Wuppertal-Barmen
 
Während die spektakuläre und vom Publikum begeistert aufgenommene Doppelausstellung „Degas & Rodin“ im Von der Heydt-Museum in Wuppertal-Elberfeld in Kürze zu Ende geht (26.02.2017), zeigt die Von der Heydt-Kunsthalle im Stadtteil Barmen ab heute und bis 7.5.2017 eine repräsentative Werkauswahl des amerikanischen Expressionisten Clifford Holmead Phillips, eines außergewöhnlichen, hierzulande aber nur Insidern bekannten Künstlers. Wer die Schau mit ihren knapp neunzig Exponaten in den Räumen der ehemaligen Barmer Ruhmeshalle gesehen hat, dürfte vermutlich die Überzeugung teilen, daß es sich hier um eine veritable „Entdeckung“ handelt.
Die Ausstellung, die in ähnlicher Form zuvor in der Kunsthalle Schweinfurt zu sehen war und anschließend im „Buchheim Museum der Phantasie“ in Bernried am Starnberger See gezeigt wird, spannt den Bogen von frühen, vom Impressionismus beeinflußten Landschaften aus den 1920er Jahren über expressiv gesteigerte Natur- und Stadtansichten bis hin zu Bildern mit literarischen und religiösen Inhalten und den eindrucksvollen späten „Köpfen“, die quantitativ und in ihrer Intensität zweifellos den Höhepunkt der aktuellen Präsentation darstellen.


Holmead, Farm House New England 1922 - Foto © Rainer K. Wick
 
Das künstlerische Œuvre von Clifford Holmead Phillips (1889-1975), eines „self-taught artist“, ist ebenso eigenwillig, wie seine Biografie außergewöhnlich ist. Geboren in Shippensburg / Pennsylvania, war der Künstler, der seinen Namen zunächst in Holmead Phillips und schließlich in Holmead änderte, Zeit seines Lebens ein Wanderer zwischen den Welten. Fast dreißig Mal pendelte er mit dem Schiff zwischen den USA, seiner ersten, und Europa, seiner zweiten Heimat, hin und her. Insofern läßt sich das in Wuppertal ausgestellte, 1967 entstandene kleinformatige Bild eines Dampfers, der wie eine Nußschale auf den mächtigen Wellen des Ozeans tanzt, geradezu als Chiffre einer extrem mobilen, ja unsteten Künstlerexistenz im Schnittpunkt interkultureller Diskurse zwischen Nordamerika und Europa lesen.
 
In den Jahren 1908 bis 1912 erhielt der junge Clifford eine handwerkliche Ausbildung in der Möbelfabrik seines Vaters. Ein Auto, das ihm der Vater zum 21. Geburtstag geschenkt hatte, verkaufte er umgehend und bestritt von dem Geld eine erste Schiffspassage nach Europa, die ihn nach Frankreich, Italien, Deutschland und England führte. Er besuchte die großen Museen, setzte sich intensiv mit den Alten Meistern auseinander und faßte den Entschluß, nach seiner Rückkehr nach Amerika selbst Maler zu werden. Ohne sich einer akademischen Ausbildung zu unterziehen, reiste er in den folgenden Jahren durch die USA und fand im Rahmen seiner autodidaktischen Bemühungen vielfältige Anregungen in Museen und Galerien. Anfang der 1920er Jahre schloß er sich in New England diversen Künstlerkolonien an, 1922 lebte er eine Zeitlang in Provincetown, einst Zentrum des Fischfangs, dann Urlaubs- und Künstlerort an der Spitze von Cape Cod, wo er erstmals ausstellte. Es handelte sich um „traditionelle Landschaften [...] in einem spröden, silbrigen Licht“, die den Einfluß der „Hudson River School“ erkennen lassen, „der ersten nationalen Kunstschule der Vereinigten Staaten“ (Birgid Groscurth im Katalog). 1924 kam Clifford Holmead Phillips zum zweiten Mal nach Europa und hatte in Paris sein Offenbarungserlebnis, als er im Schaufenster einer Kunsthandlung ein Bild des französischen Fauvisten Maurice de Vlaminck sah. Dessen kraftvoller Malduktus und expressive Bildsprache beeindruckten ihn tief, und er entwickelte einen Stil, den er selbst als „crude expressionism“, als rohen Expressionismus, bezeichnete.


   Holmead, Vorstadtbahn Paris 1926 - Foto © Rainer K. Wick

Rückschauend schrieb er mit Blick auf seine künstlerische Sozialisation: „Ich habe nicht, wie viele andere, meine Malerei mit Cézanne angefangen, sondern mit dem Studium der romanischen Kunst und der Gotik. Dann weiter über Rembrandt zu Daumier, Vlaminck und Expressionisten wie Soutine, Kokoschka, de Staël, usw.“ In der Tat lassen sich in Holmeads spontan niedergeschriebenen und expressiv hochgradig aufgeladenen Gemälden zuweilen Anklänge an die genannten Künstler finden, ferner übrigens auch an Rouault, Ensor, Nolde und andere. Dennoch gelang es dem Künstler, Bilder hervorzubringen, denen von der Kritik zu Recht Eigenständigkeit, Mut, Individualität und ein „sehr persönlicher Ausdruck“ attestiert wurde. Einzel- und Gruppenausstellungen machten den Maler in den 1920er und 30er Jahren sowohl in den USA als auch in Europa bekannt. Daß für Holmead – wie für andere amerikanische Kulturschaffende zur damaligen Zeit auch – die avancierte europäische Kunstszene in besonderem Maße inspirierend, ja stimulierend war, schlug sich dahingehend nieder, daß er sich 1929 im belgischen Brügge niederließ, von wo aus er zahlreiche Reisen in andere europäische Länder unternahm. 1931 siedelte er nach München über, hier lernte er die Bremer Fotografin Elisabeth Fritze kennen, die er bald darauf heiratete. Es folgten Aufenthalte in mehreren skandinavischen Ländern, so auch in Norwegen. Angesichts der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen wurde im Frühjahr 1940 in Oslo noch am Eröffnungstag eine Ausstellung des Künstlers mit dem Titel „Malereien zum menschlichen Drama“ geschlossen. Holmead kehrte über Frankreich, Italien, Spanien und Portugal in die Staaten zurück und suchte dort den Anschluß an den amerikanischen Kunstbetrieb. Mitte der 1950er Jahre siedelt er sich erneut in Belgien an, diesmal in Brüssel, dort starb er auch im Jahr 1975, ohne noch einmal in die USA zurückgekehrt zu sein. Obwohl er in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens gelegentlich in Brüsseler Galerien ausgestellt hat, wurde der Künstler kaum mehr zur Kenntnis genommen. Dies hing nicht nur damit zusammen, daß sich der finanziell unabhängige Holmead dem „Betriebssystem Kunst“ mit seinen Mechanismen der Vermarktung und medialen Verbreitung tendenziell entzog, sondern auch damit, daß er als expressionistischer Maler, der beharrlich an der Figuration festhielt, nicht mehr zeitgemäß zu sein schien. Figurativ zu arbeiten galt in den 1950er Jahren, also in der Hochphase des international dominierenden Abstrakten Expressionismus, als obsolet, und die Rückkehr des Figürlichen in der Pop art der 1960er Jahre fand in programmatischer Abkehr von den bildsprachlichen Mitteln des Expressionismus statt.


 Holmead, Colette 1970 - Foto © Rainer K. Wick 
 
Insofern ist der Kuratorin Beate Eickhoff zuzustimmen, daß Holmead „durch alle Raster fällt“.
Dessen ungeachtet verdient gerade das Spätwerk des Künstlers, das nach einem 1961 erlittenen Schlaganfall und einer darauf folgenden längeren Schaffenspause entstand, das besondere Interesse. Holmead entwickelte eine spezifische Malweise, die er als „shorthand painting“, also als stenografisches Malen, bezeichnete. Schon früher hatte er die Farben zum Teil mit Spachteln pastos aufgetragen, nun steigerte er das Tempo und vollendete seine meist kleinformatigen Bilder mit einigen spontanen, aber sicher gesetzten Spachtelhieben, um das Typische oder Spezifische von Landschaften, Bauwerken oder Menschen möglichst unmittelbar zu erfassen: „Wenn ich mit einer Leinwand mehr als fünf oder acht Minuten herumpfusche, bekomme ich ein Postkartenbild, das man nicht gelten lassen kann.“ Und mit Blick auf die eindrucksvollen, eigentümlich suggestiven, manchmal fast karikaturartigen Porträts, die für sein spätes Œuvre besonders charakteristisch sind, formulierte er die Maxime, „das menschliche Antlitz zu einem Höchstmaß an Ausdruck bei einem Mindestmaß an Aufwand zu bringen. […] Ein paar Striche mit meinem breiten Spachtel genügen.“

 
  Holmead, Ein Künstler 1972 - Foto © Rainer K. Wick

Holmead war ein Vollblutmaler mit hohem Qualitätsanspruch, der es verstand, unabhängig vom jeweiligen Mainstream und jenseits von Markterwartungen mit Überzeugung und Leidenschaft seine eigenen künstlerischen Vorstellungen zu verwirklichen. Mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod trägt nun die Wuppertaler Ausstellung mit einer klugen Werkauswahl zur Wiederentdeckung dieses fast vergessenen Malers und dessen „rohen Expressionismus“ bei.
 
Wegen einer Veranstaltung bleibt die Von der Heydt-Kunsthalle, Geschwister-Scholl-Platz 4-6, in Wuppertal-Barmen  am Donnerstag, 23. Februar, ganztägig geschlossen.

Weitere Informationen: www.von-der-heydt-kunsthalle.de/