Hilflos gegen Erdogan, aber ihm Wahlrecht schenken?

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Hilflos gegen Erdogan,
aber ihm Wahlrecht schenken?

Von Ulli Tückmantel

Der neuerliche Vorstoß von SPD, Grünen und Piraten, Nicht-EU-Ausländern per Änderung der Landesverfassung in NRW ein Wahlrecht für Stadträte und Kreistage einzuräumen, ist an Heuchelei schwerlich zu überbieten.
Erstens ist der Vorstoß bereits bei der NRW-Wahlrechtsreform im Sommer 2016 im Landtag an CDU und FDP gescheitert, und das wird er erneut. Es gibt keine Zweidrittel-Mehrheit für eine solche Änderung der Landesverfassung. Eingeführt wurde im Sommer 2016 jedoch eine neue 2,5-Prozent-Hürde, die künftig Wähler-Kleinstgruppen aus den Rathäusern und Kreistagen fernhalten soll. Die Nutznießer sind aufgrund des NRW-Wahlsystems ausschließlich die drei großen Parteien. Denn NRW ist eines der letzten Bundesländer, das seinen Bürgern bei der Kommunalwahl verweigert, mehrere Stimmen auf Kandidaten und Parteien aufteilen zu können.
Das bedeutet im Ergebnis: Die Parteien stellen Listen auf, und ohne Einfluß des Wählers auf die Personen sitzen am Ende so viele Listen-Kandidaten im Rat, wie die Partei Prozente erlangt. Erhöht man in diesem System die Zahl der Wahlberechtigten – zum Beispiel um Nicht-EU-Ausländer – so sinken die Chancen kleiner Parteien und lokaler Wählerbündnisse noch weiter im Vergleich zu heute.
Zweitens ist es reichlich widersinnig, wenn NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) einerseits mit großer Geste die Hilfe des Bundes verlangt, um endlich Wahlkampfauftritte türkischer AKP-Politiker an Rhein und Ruhr zu verhindern, andererseits aber der SPD-Vorstoß potentiell türkischen Freiheits- und Demokratie-Feinden die Tür zu Rathäusern und Kreistagen in NRW öffnet. Denn Türken stellen in NRW die bei Weitem größte Gruppe von Nicht-EU-Ausländern.
In Jägers Heimatstadt Duisburg, wo er auch SPD-Vorsitzender ist, waren bei der Kommunalwahl 2014 rechnerisch rund 4000 Stimmen nötig, um eines von 84 Ratsmandaten zu erlangen. Durch den Einbezug von Nicht-EU-Ausländern würde die Zahl der nötigen Stimmen pro Ratsmandat auf etwa 4400 steigen.
Die einfache Rechnung: Bei mutmaßlich mehr als 26.000 türkischen Wahlberechtigten in Duisburg (und einem AKP-Anteil von mehr als 60 Prozent unter türkischen Wählern in NRW) wäre Erdogan eine kleine Ratsfraktion der „Freunde der AKP“ in Duisburg sicher. Denn das Kommunalwahlrecht in NRW sieht vor, daß der, der wählen darf, ab dem 18. Lebensjahr auch wählbar ist. Würden die Vorstellungen von SPD, Grünen und Piraten Wirklichkeit, könnten künftig türkische Staatsbürger direkt die Vorstellungen der AKP in deutsche Stadt- und Kreisräte tragen. Also dorthin, wo direkt über die örtlichen Lebensumstände entschieden wird.
Drittens gibt es massive Bedenken (nicht nur seitens der CDU und der FDP), daß ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer – und das auch nur in einem Bundesland – gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Der Weg dorthin würde also nicht allein und schon gar nicht zuerst über die NRW-Landesverfassung, sondern eine Bundesrats-Initiative führen. In Wahrheit betreiben SPD und Grüne im NRW-Landtag also Bundestagswahlkampf.
Seit 1989 fordert das Grundsatzprogramm der SPD, Ausländerinnen und Ausländern das kommunale Wahlrecht zu geben. In ihrem Wahlprogramm 2009 bekräftigte die SPD die Forderung und brachte 2010 einen Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28, Absatz 1) in den Deutschen Bundestag ein, der von der Parlamentsmehrheit abgelehnt wurde. Seit die SPD 2013 wieder Regierungspartei im Bund wurde, unternahm sie in der Sache keine weiteren Vorstöße.
Erst Mitte dieses Monats legte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) unter dem Vorsitz von Integrations-Staatsministerin Aydan Özoguz ein „Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft“ vor, in dem die Forderung nach dem Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer wieder erhoben wird. Mit in der FES-Kommission: Bekir Alboga, Generalsekretär des Bundesverbands der Ditib.
Der Kommission zugutehalten kann man, daß sie im Gegensatz zu SPD, Grünen und Piraten in NRW klar formulierte, daß die politische Herausforderung darin bestehe, „neben weiter notwendigen Erleichterungen bei der Einbürgerung einen grundgesetzkonformen Weg für die Ausweitung des Wahlrechts“ zu finden. Über den Düsseldorfer Landtag führt dieser Weg nicht.
Und überdies: Wer als hier lebender türkischer Staatsbürger seine Illoyalität gegenüber unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und seine Verachtung für die Werte Europas dadurch zum Ausdruck bringt, daß er am 16. April für eine Diktatur in der Türkei stimmt, der sollte in Deutschland über gar nichts abstimmen dürfen.
 

Der Kommentar erschien am 24. Februar 2017 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.