Wehrhafte Demokratie darf vor Erdogan nicht kneifen

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Wehrhafte Demokratie
darf vor Erdogan nicht kneifen
 
Von Ulli Tückmantel
 
Es gibt in Deutschland für die Bundeskanzlerin, den Chef ihres Kanzleramts und den Außenminister keinen von der Verfassung oder irgendeinem Gesetz vorgeschriebenen Grund, Ausländer mit dem Ziel nach Deutschland einreisen zu lassen, hier für die Abschaffung der Demokratie in ihrem Heimatland zu werben. Erklärt dazu ein ausländisches Staatsoberhaupt, wenn es wolle, komme es morgen, und wenn man es nicht hereinlasse oder nicht sprechen lasse, dann werde es einen Aufstand machen – dann darf die Antwort der Bundeskanzlerin, des Chefs ihres Kanzleramts und des Außenministers nicht lauten, daß man Wahlkampf-Auftritte türkischer Minister nicht grundsätzlich verbieten wolle – ja was denn bitte sonst, und zwar sofort?
 
Von wieviel politischer und moralischer Apathie muß man eigentlich befallen sein, um sich von einem fast bankrotten Polit-Proleten und Staats-Geiselnehmer wie Erdogan gleichzeitig um Wirtschaftshilfen anbetteln und als „Nazis“ beschimpfen zu lassen? Um wie viel erpreßbarer kann man sich nach innen und außen denn noch darstellen? Man ist nie der Klügere, wenn man gegenüber Erdogan oder anderen Typen seines Schlages nachgibt, sondern immer bloß der Dumme. Und das hat die überwältigende Mehrheit der Deutschen nach jahrelangen Provokationen aus Ankara endgültig satt: 81 Prozent finden, daß sich die Bundesregierung von Erdogan zu viel gefallen läßt, hat das Meinungsforschungsinstitut Emnid für „Bild am Sonntag“ erfragt.
Während NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eine klare politische Vorgabe von der Bundesregierung erwartet (aber nicht sagt, welche), lobt ihr Herausforderer Armin Laschet (CDU) mangelnde Erregbarkeit der Regierung, findet richtig, daß gegen Erdogan demonstriert wird, aber die Bundesregierung sage: „Meinungsfreiheit ja“. Die Argumentation dahinter, die keineswegs nur Laschet vertritt, hat mit dem hohen Gut der Meinungsfreiheit, das keineswegs jedem erklärten Feind der Freiheit mal eben so selbstverständlich dienstbar zu sein hat, um es gegen die Meinungsfreiheit zu wenden, überhaupt nichts zu tun.
 
Ihrem Grundverständnis nach ist die Bundesrepublik Deutschland eine wehrhafte, streitbare Demokratie. Diesem Verständnis liegt die historische Erfahrung zugrunde, daß es der Weimarer Republik mit ihrer unzureichenden Verfassungs- und Rechtsausstattung nicht gelungen war, den Mißbrauch von Freiheit und Recht zur Abschaffung von Freiheit und Recht durch die Nazis zu verhindern. Unter anderem deshalb sieht der Artikel 18 unseres Grundgesetzes vor, daß derjenige die Rechte auf die Freiheit der Meinungsäußerung, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht verliert, der diese Rechte zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht.
Die Rechte der wertgebundenen Ordnung des Grundgesetzes sollte die Politik nicht aus dem Kalkül strategischer Geschäftemacherei für diejenigen öffnen, die von Anfang an auf nichts als ihren Mißbrauch aus sind und diese Rechte in ihrem Land mit Füßen treten. Daher ist es auch keineswegs vergleichbar, wenn Erdogan aus politischen Gründen verwehrt wird, was Barack Obama mit Recht zugestanden wurde. Allein der Vergleich ist eine Unverschämtheit.
Es mag durchaus sein, wie die Freunde des diplomatischen Eiertanzes argumentieren, daß Erdogan sich die Eskalation um jeden Preis wünscht, weil er sich davon den Sieg seines Referendums zur Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verspricht. Ja, und? Daraus leitet sich für die deutsche Politik gar nichts ab, schon gar kein Auftrag zum Werterelativismus. Erdogan und seine Schergen weiter in Deutschland auftreten zu lassen, mag man für pragmatisch halten und es so ausgeben. Prinzipienlos ist es auf jeden Fall.
 
Wenn die Mehrheit der türkischen Wahlberechtigten dafür stimmen will, ihr Land einen langen und bitteren Weg in die Dunkelheit antreten zu lassen, so wird sie es tun. Aufgabe der deutschen Politik ist es, zu beobachten, wie viele der hier lebenden 1,41 Millionen türkischen Wahlberechtigten sich daran beteiligen – und welche Rückschlüsse daraus innenpolitisch zu ziehen sind. Es ist auf Dauer ein Problem, wenn einer zahlenmäßig nicht unbedeutenden Gruppe zugestanden werden soll, sich in zwei Heimaten komplett gegensätzlich zu verhalten.
Aufgabe der deutschen Politik ist es nicht, vor Erdogan weiter einzuknicken, sondern deutsche Grundwerte und deutsche Bürger zu schützen. Dazu ist es nicht der schlechteste Vorschlag, den der Linken-Politiker Jan van Aken gemacht hat, nämlich eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die Türkei auszusprechen. Denn es ist gefährlich, in einem Land Urlaub zu machen, in dem die Freiheit im Kerker sitzt.
 

Der Kommentar erschien am 7. März 2017 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.