Als bester Film 2017 Oscar-prämiert

„Moonlight“ von Barry Jenkins

von Renate Wagner

Moonlight
(USA 2016)

Drehbuch und Regie: Barry Jenkins
Mit: Alex R. Hibbert, Ashton Sanders, Trevante Rhodes, Naomie Harris, Mahershala Ali, Jaden Piner, Jharrel Jerome, André Holland u.a.
 
Die Zeiten ändern sich, manchmal sogar zum Besseren. Früher wäre ein Film wie „Moonlight“ irgendwo in Independent Filmhäusern gelaufen und hätte kaum Beachtung gefunden. Heute bekommt er wichtige „Oscars“, voran für den „Besten Film“, dazu noch den besten Nebendarsteller und das beste adaptierte Drehbuch. Starke Anerkennung für eine Geschichte, die man heute für erzählenswert hält.
Ein Randschicksal, das vielleicht gar nicht so untypisch ist. Wer fragt sich schon, wie kleine schwarze Jungen, die vom Leben so eindeutig benachteiligt sind, aufwachsen müssen und was dann aus ihnen werden kann? Der 37jährige farbige Regisseur Barry Jenkins, der mit „Moonlight“ seinen ersten „richtigen“ Spielfilm vorlegt, hat das (nie aufgeführte) Theaterstück „In Moonlight Black Boys Look Blue“ von Tarell Alvin McCraney auf die Leinwand gebracht und die Teilung in „drei Akte“ als drei Lebensstationen seines Helden beibehalten. Es ist, ähnlich wie bei „Fences“, ein Film, dessen Theaterdramaturgie man auch im Setzen der Effekte zwar genau merkt, aber es sind die Figuren, auf die man sich einläßt und die funktionieren.
 
Zuerst Miami in den Achtzigern, der neunjährige Chiron (Alex R. Hibbert) ist ein typischer Außenseiter, einer, der anders ist als die anderen, von ihnen gemobbt und als „Little“ verspottet wird. Nur einer der Schulkollegen, Kevin (Jaden Piner), schließt sich den alltäglichen Gemeinheiten nicht an. Herzzerreißend die Lebensumstände mit einer Mutter, die dem Crack verfallen ist – Naomie Harris war für den Nebenrollen-„Oscar“ nominiert. Bekommen hat ihn auf männlicher Seite zu Recht Mahershala Ali, denn es ist keine leichte Sache, einen Drogenhändler zu spielen, der dennoch Gefühle des Mitleids für diesen kleinen Jungen empfindet und ihm Vaterersatz bietet: Daß man gleichzeitig kein wertvolles Mitglied der Gesellschaft und doch ein innerlich gütiger Mensch sein kann, das zählt zu den Erlebnissen des Films. Und die mittlerweile schon berühmt gewordene „Schwimmszene“ (als Juan dem kleinen Chiron ein Gefühl von Schweben und Freiheit vermitteln will) ist unvergeßlich. Hier wird auch die im Theaterstück-Titel angesprochene „Farbe“ erklärt – daß schwarze Haut im Mondlicht blau erscheint.
 
Im zweiten Akt, um es so zu sagen, ist Chiron (Ashton Sanders) ein Teenager, und als ob er in seiner Eigenschaft als schwarzer Unterschichtjunge nicht schon genügend Probleme hätte – nun zeigt sich, daß er tatsächlich anders ist, und die Qualen, die eigene Homosexualität zu begreifen und dann auch zu erleben, hier zuerst mit Schulkollegen Kevin (Jharrel Jerome), trifft wohl jeden jungen Menschen, der sich seiner sexuellen Orientierung klar werden muß…
Der nächste Sprung zeigt Chiron zehn Jahre älter und in der Großstadt Atlanta, es ist aus ihm geworden, was die Vorgaben indiziert haben, ein Drogendealer, den man „Black“ nennt (Trevante Rhodes) und der dem eigenen Klischee dieser Kaste entspricht, im Outfit, im Benehmen. Eine späte Konfrontation mit der Mutter, der er nicht verzeihen kann, zeigt ihre Schuld an seinem Werdegang auf. Die ganze Selbstsicherheit des nunmehrigen „Black“ geht allerdings verloren, wenn er in Kevin (nun André Holland) seine Vergangenheit trifft. Geradezu sensibel schwebend geht der Film seinem Ende zu, die beiden Männer mit minimalen Gesten der Annäherung an die einstige Intimität.
 
Hier werden keine Lösungen geliefert, keine Zukunftsaussichten, der Film hat nur ein „armes“ schwarzes Schicksal in drei Stationen gezeichnet. Und der Regisseur hat es geschafft, die Szenen des Kindes, des Jugendlichen und des jungen Erwachsenen jeweils ihren eigenen Charakter zu geben, die Welt quasi gespiegelt in diesem Chiron, in genau ausgetüfelten Kinobildern, die keine Angst vor Poesie haben, die manchmal an der Kippe zum Kitsch tänzeln, aber letztendlich doch die Kurve bekommen.
Barry Jenkins erreicht, daß auch ein „weißes“ Publikum mit einem schwarzen Jungen mitlebt und mitfühlt, den man auf der Straße vielleicht keines Blickes würdigen würde. Und das ist doch ein Fortschritt…
 
 
Renate Wagner