Hingabe zur Natur und zum Leben

Meir Shalev – „Mein Wildgarten“

von Frank Becker

Hingabe zur Natur und zum Leben
 
Meir Shalevs Liebeserklärung an seinen Garten
 
Wenn ich je für ein Buch den Ausdruck „bezaubernd“ benutzen möchte, so für Meir Shalevs hinreißende Liebeserklärung an die Natur „Mein Wildgarten“.
Der israelische Romancier und Journalist hatte das nach eigenem Bekunden unschätzbare Glück, zwischen Moschawot und Moschawim ein Haus mit einem großen, an einem Hang gelegenen Grundstück kaufen zu können, auf dem neben Zypressen und Eichen, Johannisbrot-Bäumen und Terebinthen auch ein Zitronenbaum, ein Pekannußbaum, ein Feigenkaktus und Feigenbäume standen. Haus und Garten waren für Shalev Liebe auf den ersten Blick. In 47 leicht verdaulichen, ungemein unterhaltsamen und dennoch informativen Kapiteln erzählt er davon, wie er in Rückbesinnung auf das Eigentliche diesen Garten zu einem naturnahen Wildgarten „kultiviert“ hat.
Anschaulich beschreibt Meir Shalev die Erscheinung und Eigenschaften der Blumen, Bäume,  Pflanzen und Sträucher die durch abwechselnde Blütezeiten den Garten über das Jahr zu einer abwechslungsreichen, immerblühenden Landschaft mit dem ungekünstelten Charme des Natürlichen werden lassen. Natürlich gehört auch und vielleicht sogar besonders gärtnerisches Geschick dazu, dem „Wilden“ seine ungekünstelte Form zu geben. Meerzwiebeln, Lupinen, Mohnblumen, Alpenveilchen, Buschwinden und Löwenmaul, Hahnenfuß, wilde Rosenstöcke und Gladiolen… das sind neben Obst- und Nuß-, Jakaranda-, Paternoster- und Judasbäumen u.v.a.m. nur einige der Pflanzen, die er hegt und pflegt – und über die er so unendlich vieles zu erzählen weiß. Historische und mythologische Hintergründe fließen ein, die von der Herkunft einiger der Gewächse berichten.
 
Neben den Pflanzen bevölkert natürlich auch eine Menge Getier dieses große, für Vögel und Spinnen, Mäuse und Ameisen, Schlangen und Wespen äußerst einladende Paradies. Mit Geduld und Humor, gelegentlich auch radikal mußte sich Meir Shalev gegen die hartnäckige Blindmaus, nach schmerzhaften Niederlagen gegen aggressive Wespen und mit delikater Vorsicht auch gegen giftige Hundertfüßler und Skorpione, nicht ungefährliche Schlangen wie die Palästina-Viper, die Pfeilnatter oder die Münzennatter und gegen Ameiseninvasionen durchsetzen – aber auch das erträgt er mit Langmut. Schließlich gehört das eine ja zum anderen.
Mit viel Ironie setzt sich Meir Shalev mit ganz anderen „Gefahren“ auseinander, nämlich dem Visiten, eher dem Überfall von selbsternannten Gartenexperten, die längst nicht so erfreulich sind wie die gelegentlichen Besuche von Igeln oder Schildkröten. Aber auch damit wird der Gartenbesitzer schließlich mit Geduld und Humor fertig.
Der geschickte Aufbau des Buches bietet neben seinem Informations- und Unterhaltungswert einen zusätzlichen, nicht zu unterschätzenden Vorteil: Man muß es nicht zwangsläufig von A bis Z durchlesen. Ist man nach den ersten Kapiteln quasi mit dem Verfasser in seinen Garten eingezogen und hat ein Gefühl dafür entwickelt, kann man getrost zwischen den Kapiteln springen, sozusagen nach Lust und Laune kreuz und quer oder von hinten nach vorne lesen, ohne einen Verlust zu erleiden.
 
„Jede Pflanze, die heranwächst, jedes Tier, das ihm im Garten begegnet, löst Gedanken, Erinnerungen, Geschichten über Natur und Kulinarik, Geschichte und Gegenwart, Mensch und Kreatur, Liebe und Literatur aus. Ein Selbstporträt des Künstlers als Gärtner, voller Lebensweisheit und Humor“ schreibt der Verlag im Klappentext. Und so ist es ein Spiegel geworden, aus dem jeder Leser mit auch nur ein wenig Liebe zur Natur sich gerne selbst herausblicken sähe. Ein zauberhaftes Buch, das unsere Auszeichnung, den Musenkuß, nur allzu sehr verdient.
 
Meir Shalev – „Mein Wildgarten“
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Mit 40 teils farbigen Illustrationen von Refaella Shir
© 2017 Diogenes Verlag, 341 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag und Lesebändchen ISBN 978-3-257-06990-7
24,00 € (D) / sFr 32,00* / 24,70 € (A)

Weitere Informationen: www.diogenes.ch