Ein musikalischer Höhepunkt

Bruckners 8. Sinfonie in Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper
Bruckners 8. Sinfonie
im 9. Sinfoniekonzert
(154. Saison)
des Sinfonieorchesters Wuppertal

 nachgehört
 
Von Johannes Vesper
 
Die Uraufführung von Anton Bruckners 8. Sinfonie im Abonnementskonzert am 18.12.1892 in Wien war ein Triumph für den Komponisten. Kaiser Franz Josef, der Widmungsträger dieser Sinfonie, sandte einen Lorbeerkranz. Dabei fühlte sich Bruckner nach dem Debakel bei der Erstaufführung seiner 3. Sinfonie im Hinblick auf seine Kompositionen durchaus unsicher und zwischen allen Stühlen sitzend. Vom Brahms Freund Eduard Hanslick war er attackiert worden, er stünde Wagner zu nahe, während die Wagner-Anhänger ihn nicht akzeptierten, weil er zu konservativ und „barock“ sei. Bruckner verehrte Wagner und widmete ihm zwei seiner neun Sinfonien. In der 8. werden wie schon in der 7. Wagner-Tuben eingesetzt, die, kleiner als Baß-Tuben, die tonliche Lücke zwischen Waldhorn und Posaune schließen sollten und von Wagner für das „Rheingold“ konzipiert worden sind. Die Wagnertuben werden mit Hornmundstücken von Hornisten gespielt und sind keine echten Tuben. Aber zurück zur Uraufführung: Eduard Hanslick verließ sie vorzeitig. Er konnte den „traumverwirrten Katzenjammer“ nicht ertragen. Dabei hatte sich Bruckner 3 Jahre (1884-87) für die Komposition der 8. Zeit genommen und sie im Gegensatz zu früheren Sinfonien nach Einwänden von Freunden zunächst nicht korrigiert. Als aber Hermann Levi, der die 7. in Leipzig einige Jahre zuvor erfolgreich aufgeführt hatte, sich von der 8. überhaupt nicht angetan zeigte, erfolgte doch eine Umarbeitung dergestalt, daß der 1. Satz leise endet und vor allem die Instrumentierung verändert wurde. Diese Fassung wurde im 9. Sinfoniekonzert gespielt. Die Zuhörer schienen etwas überrascht, weil man die Sinfonie anders im Ohr hat. Denn auch nach Bruckners eigener Revision gingen die Umarbeitungen noch weiter. Heute hört man oft eine vom Herausgeber der Brucknergesamtausgabe 1938 veränderte Fassung der Sinfonie. Er wollte Bruckners Ur-Intentionen wieder hervor holen. Musikwissenschaftlich katastrophal, setzte sich diese Fassung aber trotzdem erfolgreich durch.
 
„Diese Symphonie ist die Schöpfung eines Giganten und überragt an geistiger Dimension, an Fruchtbarkeit und Größe alle anderen Symphonien des Meisters“ schrieb Hugo Wolf. Was meinte Bruckner selbst zu seiner 8.? „Meine 8. ist ein Mysterium“ schrieb er. Das stimmt jedenfalls im Hinblick auf die verschiedenen Fassungen. Mit Skepsis sind die von Bruckner gegebenen (?) Assoziationen zu dieser Sinfonie aufzunehmen. Ist das Scherzo typisch deutsch im Sinne dieses Michels? Hören wir im 4. Satz Jagdmusik oder Fanfaren beim Dreikaisertreffen 1884 in Skierniewice? Hat das Hauptthema des 1. Satzes („Todesverkündigung“) bereits autobiographische Züge? 1892 litt Bruckner schon unter ausgeprägter Herzinsuffizienz mit Wassersucht. Der erste Satz beginnt mit dem kurzen Vorhalt eines Halbtonschrittes nach leisem Streichertremolo, bevor sich mit der Thematik die Faszination im musikalischen Raum entwickelt. Die geistige Dimension Bruckners entspricht nicht „tönend bewegter Form“ barocker Größe, sondern der Erforschung innerer Weite der menschlichen Psyche. Mit ganzer Seele ist Bruckner selbstschwelgerisch bei üppiger Orchestrierung (dreifache Holzbläser, 4 Wagnertuben zusätzlich, Harfen) in das Orchester hineingefahren. Schwelgende Celli, blitzsaubere Holzbläser, schnelle Tonrepetitionen sägende Violinen, im 2. Satz plötzlich ungewohnter Harfenklang, immer wieder die für diese Sinfonie charakteristischen, „hängenden“ Halbtonintervalle, klares Fanfarenblech über den Pauken, deren Motiv von den Bässen im Pianissimo übernommen wird: das Husten im Publikum stört dabei kaum. Der erfahrene Dirigent Christoph Prick dirigiert die 90 Minuten auswendig, hat das riesige Orchester im Griff und vermittelt seine Agogik und Dynamik ohne Taktstock. Er leitet aktuell das Beethoven-Orchester Bonn, begann 1974 seine Karriere als damals jüngster Generalmusikdirektor in Saarbrücken, nahm diese Position später in Karlsruhe, Hannover und Nürnberg ein, steht und stand auf den Podien der Staatsopern in Hamburg und Wien, der Semperoper, der Metroplitan Opera New York, der Deutschen Oper Berlin usw.. Im Schlußsatz beenden die zarten Harfen die Blechapotheose mit Beckenschlag und das sinfonische Werke endet mit der der gewaltigen Coda, in der die wichtigen Themen noch einmal grandios zusammen geführt werden. Der Beifall steigert sich nach zunächst zaghaftem Beginn mit zahlreichen Bravos zu langanhaltenden Ovationen. Die 8. Bruckners war also nicht nur ein musikalischer Höhepunkt der Saison von 1892 in Wien.
 
Zu Bruckners BIld::
Anton Bruckner (Gemälde in St. Florian) 1824-1896: Lehrer, Komponist, Organist (reisenden Orgelvirtuose), leidend an Melancholie und Zwangserkrankung (Zählzwang), interessiert an Kriminalaffären und Morden, oft verliebt, oft abgewiesen.