Das Eis im Rücken

Warten auf Godot - In Wuppertal unbeeindruckt vom sichtbaren Untergang

von Martin Hagemeyer

Foto © Claudia Kempf

Das Eis im Rücken

Samuel Beckett: Warten auf Godot
 
In Wuppertal unbeeindruckt vom sichtbaren Untergang
 
Regie: Volker Schmalöer - Bühnenbild und Kostüme: Michael Lindner –  Dramaturgie: Cordula Fink – Regieassistenz: Barbara Büchmann – Inspizienz: Charlotte Bischoff – Hospitanz: Jan Junghardt.
Besetzung: Wladimir: Stefan Walz – Estragon: Alexander Peiler – Lucky: Lukas Mundas – Pozzo: Miko Greza / seit 18.5.: Klaus Lehmann – Ein Junge: Henri Hager / Fabian von Heimburg
 
Kein Ufer, nirgends. Gern wird Becketts „Warten auf Godot“ konkretisiert, verortet, in Kontexte gestellt. Beim Schauspiel Wuppertal vermeidet man das von Anfang an – mit einem Setting, das aus Raum und Zeit fällt: Die Titanic und ihr Untergang gibt die „Grundkatastrophe“, und in Volker Schmalöers Inszenierung heißt das wenig und alles: Die Bühne ist Wasser, der Eisberg gerammt. Fürs Spiel bleiben Paletten.
 
Es ist eine gewaltige Setzung der Regie und von Bühnenbildner Michael Lindner. Hat der Zuschauer die Fläche vor sich erkannt als komplett geflutet, dahinter den mächtigen Berg, schwant ihm erst pure Tristesse. Doch nicht eigentlich trostlos kommt das Stück bei Volker Schmalöer daher, denn was sich abspielt, geschieht wie herausgelöst: Wladimir und Estragon warten, Pozzo schikaniert Lucky – doch der dräuende Block stört sie nicht. Für Dramatik bleibt der Text, und Spannungen gibt es da ja genug.
Das ist wohl die zentrale Besonderheit dieses ohnehin außergewöhnlichen Abends: Reglosigkeit zeigen – und dafür denkbar ungünstige physische Bedingungen auffahren. Keineswegs spielen ja die Schauspieler unbewegt, sie widmen sich vielmehr stark den Konflikten. Entschieden unbewegt sein müssen sie aber gegenüber der unpraktischen Tatsache, daß jeder Schritt ein Waten ist.
 
Was kreative Nutzung der Nässe nicht ausschließt. Das beginnt schon in der Eingangsszene mit Estragons Versuch, sich die Schuhe auszuziehen: Klitschnaß wird das eben erst recht zur Herausforderung. Zu Alexander Peilers toll stummen Spiel gesellt sich bald Stefan Walz als Wladimir und hantiert still mit den Holzpaletten, inselartig auf dem Meer. Auch beim zweiten Paar des Abends hat das Wasser seine szenischen Folgen: Lucky, der meist stumme Diener, erfährt neben vielen anderen heute noch eine weitere Demütigung, als sein Hut aus dem Wasser gefischt und ihm gleichfalls triefend auf den Kopf gepreßt wird. Seinen Herrn Pozzo spielt Miko Greza überzeugend mit einem Schuß Nonchalance, die letztlich umso brutaler ist, denn die Zügel behält er ja doch in der Hand. Den Lucky gibt Lukas Mundas schmerzhaft regungslos – bis auf seinen berühmten Monolog: Da bricht es gewaltig aus dem bleichen Knecht heraus, bis er zusammenbricht. Heißt natürlich: In die Flut.


Foto © Claudia Kempf
 
Hier landet denn auch so ziemlich jeder heute mindestens einmal. Da freilich zeigt sich ein anderer Effekt des Wasser-Einfalls: Da alle naß werden, gibt es weniger Gefälle. Despot Pozzo vegetiert dort nach der Pause sogar lange, endlos wirkende Minuten vor sich hin; die Last des Elements betrifft alle. Wladimir und Estragon nehmen’s indes mit Humor: „Was spielen?“ „Mich anschnauzen!“ „Blödmann!“ So geht es hin und her, quer watend und schimpfend – aber doch spielerisch.  
Nebeneffekt der grandiosen Ausblendung ist freilich: Auch als Zuschauer könnte man glatt vergessen, daß alle Figuren kurz vorm Ertrinken sind. Doch den Preis ist es wert: Ungerührt ist hier das Verhältnis zur vergehenden Zeit, und vielleicht daher gelingt Heiterkeit im Nihilismus. Wichtiges Prinzip bleibt: Es mag ja sein, daß nichts einen Sinn hat – aber daraus immerhin machen wir etwas. Auch auf diesem sinkenden Schiff gilt freilich: Im Griff hat man gar nichts.
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de