Über einiges Wesentliche

Charles Baudelaire - „Wein und Haschisch“

von Frank Becker

Über einiges Wesentliche
(Frucht der Erfahrung)
 
 
„Wer nur Wasser trinkt, hat vor seinen
Mitmenschen etwas zu verbergen.“
Charles Baudelaire
 
Charles Baudelaire (1821-1867) beschwor unruhig und selbstquälerisch die Lust an der Unendlichkeit, die Verzweiflung vor dem Alter, den Rausch als erstrebenswerte Bewußtseinserweiterung. In vielem, auch im Mißtrauen gegen Autoritäten war er damit auch ein Vorreiter der Beat Generation. Mit sich und der Welt zerstritten schuf er sein düsteres Lebenswerk „Les fleurs du mal“ (Die Blumen des Bösen). Doch neben seiner unsterblichen Lyrik verfaßte Baudelaire weniger beachtet, aber keineswegs geringer zu schätzen, feuilletonistische Prosa und Essays.
Im Manesse Verlag erschien soeben im 150. Todesjahr des französischen Schriftstellers ein kostbares Bändchen mit unbedingt lesenswerten Abhandlungen, Essays und Bemerkungen Baudelaires. Über die Liebe schreibt er, geht mit Ratschlägen Literaten zur Hand, spricht über den Wert von Spielzeug, gibt eine brillante Literaturkritik zu Gustave Flauberts „Madame Bovary“ und erstaunt mit einer umfangreichen Würdigung und Analyse von Richard Wagners „Tannhäuser“ und anderer seiner Opern. Als „feinsinniger Ästhet als ironischer Lebenskünstler, als hellsichtiger Literaturkritiker und als wortmächtiger Protagonist der Pariser Boheme“ wird Baudelaire im Verlagstext gerühmt. Diese Auswahl zeigt: zu Recht.

Den Kernpunkt aber und das Titelthema dieser kleinen Auswahl, die von Melanie Walz stimmig ins Deutsche übertragen wurde, sind Baudelaires Auseinandersetzungen mit anderen Rauschmitteln als der Liebe und Wagner: Wein und Haschisch. Baudelaire war ein Kundiger, man weiß es. Als Tröster, als Medizin für die Seele beschreibt er den Wein, zieht Jean Anthelme Brillat-Savarin, Béroalde de Verville und E.T.A. Hoffmann hinzu, reflektiert über Wert und Wirkung des göttlichen Getränks. „Tiefe Freuden des Weins, wer hat euch nicht gekannt?“ fragt er und konstatiert „Auf der Erdkugel gibt es eine unzählbare, unbezifferte Menge von Menschen, deren Leiden der Schlaf nicht ausreichend lindert. Für sie singt und dichtet der Wein.“
Die geradezu körperlich und seelisch mitfühlbare Beschreibung der Stufen des Haschisch-Rauschs hat nahezu wissenschaftliche Qualitäten und ist durchaus geeignet, auch den, der nie Haschisch konsumiert hat, verstehen zu lassen, was Risiko und Reiz dieses uralten Mittels zur Entrückung ausmacht. Ein Zitat aus der „dritten Stufe“ des Rauschs zeichnet ein aufregendes Bild:
„Nach einer neuerlichen Krise, einem schwindelerregenden Rauschzustand, auf den neuerliches Unwohlsein folgt, tritt das dritte, unbeschreibliche Stadium ein: das, was die Orientalen Kif nennen, die vollkommene Glückseligkeit. Dieser Zustand ist kein Taumel mehr, kein Toben, sondern  friedvolle, stille Seligkeit. Alle philosophischen  Probleme sind gelöst. Die Antworten auf all die  schwierigen Fragen, mit denen die Theologen sich  abmühen und an denen vernünftige Menschen  sich die Zähne ausbeißen, liegen klar und deutlich  auf der Hand. Jeder Widerspruch ist Einhelligkeit  geworden. Der Mensch ist Gott geworden.“        
Gedacht und niedergeschrieben zwischen 1846 und 1861 sind Baudelaires Essays auch heute noch von bestürzender Aktualität und Wahrheit. Eine literarische Kostbarkeit. Gebunden in dunkelroten Samt mit goldener Reliefprägung, ist das Buch auch eine bibliophile Delikatesse und verdient unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
 
Charles Baudelaires Todestag jährt sich am 31. August 2017 zum 150. Mal.
 
Charles Baudelaire - „Wein und Haschisch“
Essays
Aus dem Französischen von Melanie Walz
 
© 2017 Manesse Verlag, 224 Seiten, gebunden in weinroten Samt, Goldprägung, Lesebändchen, Anmerkungen - ISBN: 978-3-7175-2430-4
22,95 € / 29,90 sFr
 
Weitere Informationen: www.manesse.ch