Zauberkasten Opernbühne

Hoffmanns Erzählungen als umjubelter Saisonabschluß am Musiktheater im Revier

von Peter Bilsing

Foto © Pedro Malinowski

Zauberkasten Opernbühne
 
Hoffmanns Erzählungen
Umjubelter Saisonabschluß am Musiktheater im Revier
 
Premiere 10.6.2019
 
Selten starte ich eine Besprechung mit dem Lob einer Kostümbildnerin, aber was uns Jula Reindell hier in der wunderbaren Inszenierung von Michiel Dijkema präsentiert, ist mit märchenhafter Fantasie gestaltet. So prachtvoll wie originell und so bunt wie eine Bonbonniere herrlich verpackter Edelpralinen. Historisch ist das ganze schwer einzuordnen - wir erleben ja eine märchenhaften Fantasiewelt und gottseidank nicht das Heute. Die Burschenschafter sehen alle aus wie jüngere Klone von Abraham Lincoln. Ein kühner Regiegag, denn so wird schwerlich erkennbar, daß im folgenden Olympia-Akt die Herrschaften in Bewegungsstarre - wie eingefroren - nur noch als Wachsfiguren existieren.
Michiel Dijkema, der auch für die grandiose Bühne verantwortlich zeichnet, bringt Oper als den Zuschauer erfreuendes schönes Musiktheater. Sein Konzept ist das Theater als Zauberkasten mit diversen Magiereffekten, wie Rauch und Nebel (zum Verschwinden von Personen), aus den Fingerspitzen blitzende Feuereffekte (Harry Potter läßt grüßen) und sogar die schwebende Jungfrau wird im Antonia-Akt bemüht. Er nutzt die kleine Bühne des MiR, die ja für große Ensemble-Bebilderung nun überhaupt nicht geeignet ist, bravourös und sinnvoll. Im großen Finale schließlich bleiben Hoffmann und seine Muse allein zurück und der riesige - mal wieder perfekt von Alexander Eberle einstudierte - Chor singt aus dem Dunkel der Seiten des Parketts. (Unser Tip: Unbedingt Karten im Parkett kaufen).
 
Nun kann man bei einem so zusammengebröselten Werk - Jacques Offenbach hat die Uraufführung und Komplettorchestrierung nie erlebt - natürlich Erbsen zählen und jede noch immer wieder neu entdeckte Note ergänzen - wie just in Wuppertal, wo das Werk zur Langeweile des Publikums und des Rezensenten auf fast vier Stunden extrem aufgeblasen wurde, aber...
... Aufgabe der Regie ist doch nicht das historisch museale Aufarbeiten von Stücken, jahrelange Archivarbeit oder musikhistorische Wissenschaftlerei, sondern die spannende Unterhaltung des Publikums im Jetzt. Und dies gelingt am MiR blendend. Sogar durch die Aufteilung des Antonia-Aktes schafft es der Regisseur endlich, endlich, endlich (!) einmal die zeitliche Unausgewogenheit der bisherigen Aufführungspraxis (dem zweistündigen ersten Teil folgen meist nur noch 45 Restminuten) formal etwas auszugleichen. Bravo! Das ist zuschauer- und rückenfreundlich vor allem fürs ältere Publikum. Außerdem entsteht so etwas wie ein „Cliffhanger“, der das Publikum (wie bei einer mitreißenden TV-Serie) mit großer Spannung und Erwartung der Fortsetzung in die Pause entläßt.

 
Foto © Pedro Malinowski
 
Schaden tut so etwas dem so beliebten Offenbachschen Meisterwerk keinesfalls - im Gegenteil. Nur die Puristen, Musiklehrer und Museums-Verwalter werden aufschreien. Und das bei einem Werk, wo des öfteren (je nach Fassung) ohne Protest sogar die Akte vertauscht werden.
Folgerichtig hat das Ganze auch einen in der Inszenierung liegenden dramaturgischen Sinn, doch diesen Überraschungscoup werde ich nicht verraten. Die Anspielungen an Filmbilder klassischer wie moderner Art (der Regisseur mag anscheinend Filme von Friedrich Wilhelm Murnau, Quentin Tarantino oder Tim Burton...) sind verspielt eingebaut. Die gesamte Produktion ist ein Traum geglückter Regiekunst, die sicherlich allen Beteiligten ebenso Spaß machte wie dem Publikum - selten hörte ich in den letzten Jahren soviel unisono Beifall und Bravi für ein Produktionsteam.
 
Natürlich wäre das alles nichts ohne die gelunge musikalische Seite, die sich hier beglückend mit einem wahren Sterne-Abend einbringt. Allen voran eine Entdeckung - der schwedische Tenor Joachim Bäckström, den man am Theater erst wenige Wochen vor der Premiere (die vorgesehene Besetzung mußte absagen) entdeckte. Der einstige Berufspilot hatte zwar in den skandinavischen Ländern schon einen Namen, war aber in Mitteleuropa relativ unbekannt - das wird sich nun schlagartig ändern, hofft zumindest der Rezensent. Die Art und Weise wie er diese Höllenpartie des Hoffmann bewältigt und seine Bühnenpräsenz werden ihn zu einem kommenden Opern-Star machen, denn es gibt zwei Rollen auf dieser Welt, deren Besetzung wirklich gewaltig schwer ist und deren Top-Sänger man mit einer Hand fast abzählen kann; die zweite Partie ist die des Tannhäuser. Wer hier reüssieren will, ohne seine Stimme zu ruinieren, muß ganz großes Potential haben. Und das hat Joachim Bäckström. Wir werden noch viel von ihm hören, hoffentlich.
 
Daß man mit Dongmin Lee (Olympia) und Solen Mainguené (Antonia) nur weitere zwei Gäste brauchte, spricht für die vorbildliche Personalpolitik des MiR, wo man die Ensemble-Pflege immer noch aufs Beste pflegt. Auch das Hauspersonal überzeugte: mit Almuth Herbst (nicht nur darstellerisch auch gesanglich ein Träumchen in der Rolle der Muse), dem herrlich dämonischen Urban Malmberg in den vier Bösewichter-Rollen, Petra Schmidt als Giulietta und dem singenden Bewegungswunder Edward Lee (Andre, Cocheneille, Frantz, Pitichinaccio) - der in jeder Filmproduktion wahrscheinlich auch eine Rolle als Stuntman bekäme. Was für tolle Solisten! Pauschallob auch für die Comprimarii.
Die Neue Philharmonie Westfalen, die ich vor fünf Wochen noch als geradezu hollywoodreifes phantastisches Filmmusikorchester in Essen erleben durfte, zeigte unter Valtteri Rauhalammi, daß sie auch Offenbach gut beherrscht.


Foto © Pedro Malinowski
 
Ein krönender Saisonabschluß - ein perfekter Opernabend, dank eines Regisseurs mit Herz fürs Musiktheater. Am MiR liebt man noch die Oper und das Publikum. Ein Beifalls-Orkan feierte die Produktion zu Recht.
Ein zusätzlicher Opernfreund Stern geht an die künstlerischen Werkstätten und die Maske, denn was man hier als Wachsfiguren (immerhin 18 Stück) in einer natürlichen, abrupten Bewegungsstarre eingefroren hatte und auf der Bühne standsicher montierte, ist jeden Madame Tussaud Kabinetts würdig.
Dank für die aussagekräftigen Bilder an Pedro Malinowski
 
Weitere Informationen: https://musiktheater-im-revier.de

Redaktion: Frank Becker