Einfach sterben.

„Der Tod von Ludwig XIV.“ von Albert Serra

von Renate Wagner

Der Tod von Ludwig XIV
(La mort de Louis XIV - Frankreich, Portugal 2016)

Regie: Albert Serra
Mit: Jean-Pierre Léaud, Patrick d’Assumçao, Irène Silvagni u.a.

Offen gestanden hat man zu dem Thema anderes und vor allem mehr erwartet. Der Tod von Ludwig XIV. Er war Frankreichs Sonnenkönig, Versailles das Zentrum der europäischen Welt, der Mann selbst eine singuläre Größe, der sein Land mehr als ein halbes Jahrhundert lang (eigentlich auf dem Papier sieben Jahrzehnte, da er als Kind auf den Thron kam) regiert hatte, als er sich im August 1715 zum Sterben anschickte. Ein Wundbrand am linken Bein löste das Ende aus, doch der 77jährige hatte ein Leben ungeheurer Aktivität hinter sich, mochte wohl auch müde sein… war er doch ein König gewesen, der diese „Würde“ (wie man es damals sah) verkörperte wie wenige andere.
 
Nun könnte man dieses Sterben in die gewaltige Welt von Versailles einbetten, wo ein Hofstaat ohnegleichen nach ausgefeilten Regeln lebte (und sich gegenseitig intrigierend auszuhebeln suchte). Welche Folgen hatte das Sterben eines Königs auf die Umwelt? Wie viele Bündnisse wurden geschlossen, Abmachungen getroffen, wie viele Spione ausgeschickt? Wer bangte panisch um seine Existenz, wer hoffte verzweifelt auf die Zukunft?
Aber das interessiert den katalanischen Regisseur Albert Serra so gut wie gar nicht. Nach der ersten Szene, der einzigen, die außerhalb seines Schlaf- und Sterbezimmers spielt (der König im Park, in einem Rollstuhl), zeigt er einen kleinen, zusammengeschrumpften Mann, der immer kleiner wird, bis er endlich – und das zieht sich – verlischt. Einfach ein Sterben, das ihn von dem anderer Menschen nur unterscheidet, daß allzeit mehr Leute um ihn herum sind, als sich um die armen Durchschnittsbürger kümmern.
Da ist sein Leibarzt Fagon (Patrick d’Assumçao), natürlich völlig hilflos, aber des schweren Drucks bewußt, daß man ihn für das Sterben des Königs, dem er nicht helfen kann, verantwortlich macht. Angstvoll bemüht, dem Kranken irgendetwas einzuflößen, ohne zu wissen, was in dieser Situation richtig ist. Er will nur eines – möglichst keine anderen Ärzte als Konkurrenz an seiner Seite. Als angesichts der Aussichtslosigkeit die Größen der Sorbonne dann doch aufmarschieren, herrscht dieselbe Ratlosigkeit. Ein großmundiger Wunderheiler wird hingegen bald wieder expediert.
Und wenn nicht ein-, zweimal Madame de Maintenon (des Königs morganatische Gattin, vertrocknet gespielt von Irène Silvagni) hereinsähe, gelegentlich ein Priester geholt würde, sich noch Leute herbeidrängten, die für einen Festungsbau Geld vom König bewilligt bekommen wollen, der die Entscheidung von sich schiebt, sind es nur die Diener, die sich um den Sterbenden kümmern.
 
Wie es uns die Geschichte lehrt (Albert Serra stützte sich in dem Film auf historische Quellen, Hofleute, die den Tod aus erster Hand erlebt haben, aber hier nicht vorkommen), läßt der König, der in einer Art ruhiger Resignation seinem Ende entgegengeht, seinen fünfjährigen Urenkel und Erben kommen und warnt ihn, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen: Er, der lebenslang Kriege geführt hat, kann es am Totenbett nicht mehr verantworten…
Im Zentrum des Geschehens steht, eigentlich liegt die meiste Zeit Jean-Pierre Léaud in einer Pose unendlicher Geduld, die ihn trotz der Perücke, in der er versinkt, nicht lächerlich erscheinen läßt. Er gibt dem Mann Würde, sogar Größe, obwohl alles um ihn einschrumpft. Auch wirkt der Film, der in zwei Wochen ohne weitere Proben heruntergedreht wurde, in der Machart eigentlich billig, weil er mit der Kamera so gut wie nie über das Bett hinausgeht, man hat den Eindruck, daß ein Zimmer in einem Atelier gereicht haben muß, das Ganze herzustellen, selbst Übergänge sind schlechtweg ungenau geschnitten, die Beleuchtung zwielichtig (es handelte sich schließlich um Kerzen), vieles bleibt vage. Verschwommen. Die Einförmigkeit des Sterbens zerrinnt.
Nein, es geht nicht um „Der König stirbt“. Ein Mensch verdämmert. Langsam. Bedrückend. Alltäglich. Nichts von der „Majestät“ des Sonnenkönigs und nichts von der Majestät des Todes. Einfach sterben.
 
 
Renate Wagner