Geht unter die Haut

Arthur Schnitzlers „Im Spiel der Sommerlüfte“ in Reichenau

von Renate Wagner

Julia Stemberger, Marcello de Nardo - Foto: Festspiele Reichenau

NÖ / Festspiele Reichenau:

„Im Spiel der Sommerlüfte“
von Arthur Schnitzler

Premiere: 2. Juli 2017,
besucht wurde die Generalprobe
 
Das Stück könnte auch am Semmering spielen – wo es nun schon zum zweiten Mal im Rahmen der Festspiele Reichenau gezeigt wird -, wenn nicht immer die Rede davon wäre, daß man mit dem Omnibus weniger als eine Stunde nach Wien braucht – damals, um 1900. Also „Kirchau“, von Arthur Schnitzler eher metaphorisch als der Ferienort im Niederösterreichischen gemeint, wo eine wohlhabende Wiener Familie den Sommer in eigener Villa mit Personal verbrachte.
Die Idee zu dem Stück hatte der Dichter schon um die Jahrhundertwende, nach dem Ersten Weltkrieg nahm er es kurz wieder her – und Ende der zwanziger Jahre sollte es dann sein letztes Theaterstück werden: „Im Spiel der Sommerlüfte“ variiert noch einmal seine großen Themen, mit etwas mehr melancholischer Leichtigkeit als früher. Hier gehen Duelle gut aus, Ehepaare versöhnen sich zumindest vorübergehend, und junge Männer laufen nicht gleich in den Tod, weil junge Frauen sie enttäuschen.

Da sind sie wieder, die schwankenden Gestalten des Schnitzler’schen Kosmos: Der Ehemann, ein Künstler, der seine Gattin zwar höflich behandelt, sie aber ohne Gewissensbisse betrügt. Der halbwüchsige Sohn, den die Natur und das Botanisieren mehr interessieren als das mögliche Studium, das man von ihm erwartet, und der so nebenbei die Sexualität entdeckt. Der junge Arzt, der sich in eine junge Schauspielerin verliebt hat, der er erotisch verfallen ist und die er ja doch nicht zur Ehefrau nehmen würde, auch wenn er es sich finanziell leisten könnte.
Vor allem aber sind da die Frauen, zwei der „klassischen“ Schnitzler-Gestalten: Josefa Friedlein als Variation der Genia Hofreiter, die in der ihr auferzwungenen Rolle als „nur“ Gattin und „nur“ Mutter (wobei weder Ehemann noch Sohn sich besonders um sie kümmern) nahezu erstickt, die nach Gefühlen geradezu schreit… und dennoch immer Haltung bewahren muß, zumal, wenn man vor ihrem mutigen Vorstoß zurückweicht.
Und Gusti, die junge Schauspielerin, die die nicht-tragische (aber vom Standpunkt der sozialen Stellung so bedauernswerte) Version des „süßen Mädels“ ist: Sie hat mit dem jungen Arzt ein Verhältnis, voll locker hingeplauderter leerer Versprechungen, flirtet mit dem Professor, ihrem angeheirateten Onkel, verschafft dem 15jährigen Cousin in einer Nacht auf der Berghütte ohne weiteres sein erstes sexuelles Erlebnis, will aber danach nicht mehr belästigt werden, und sichert sich einen feschen Leutnant, dem sie en passant begegnet, gleich für künftige Gelegenheiten. Dabei ist sie hinreißend charmant und für die Männerwelt unwiderstehlich – und bedauernswert, wenn klar wird, daß sie den Beruf einer Schauspielerin, der damals mit Prostitution gleichzusetzen war, einfach aus ökonomischen Gründen annimmt – wenn man keine andere Möglichkeit hat, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, macht das ja am Ende immer noch mehr Spaß als das Elend als Dienstmädchen oder Verkäuferin.

Und da ist dann die Figur, um deretwegen das Stück so selten gespielt wird, ja, womöglich 1929 nicht einmal zur Uraufführung gelangt wäre, hätte sich Alexander Moissi damals nicht dafür interessiert, den Pfarrer zu spielen, der von der gnädigen Frau nicht nur als Hochwürden ins Visier genommen wird. Es ist Schnitzlers zweiter katholischer Priester nach dem Pfarrer Reder in „Professor Bernhardi“ – und hier unter gewissermaßen „peinlicheren“ Umständen.
Es geht wohl doch nicht um den Zölibat als Thema, denn dieser Kaplan Holl sucht bei der verheiraten Frau einfach nur Verständnis, doch was sie ihm entgegenbringt, ist erotisch durchwirkt – wobei man als Zuschauer das Gefühl hat, eine Frau von ihrer Intelligenz und Sensibilität dürfte es eigentlich, bei aller Verzweiflung, nicht dazu kommen lassen. Gewiß, Julia Stemberger spielt dieses Schwanken zwischen Verzweiflung und Begierde streckenweise atemberaubend – aber die Hürde der Situation ist nicht zu überwinden. Wie auch Maria Schuchter als Gusti einfach hinreißend ist und doch angesichts der Unechtheit ihrer Gefühle einen unguten Nachgeschmack hinterläßt. Heutzutage nennt man es „Fremdschämen“ – da hat sich der späte Schnitzler auf ein emotionales Drahtseil begeben.
Immerhin rettet Regisseurin Beverly Blankenship das Stück souverän vor dem Absturz, woran auch das Bühnenbild von Peter Loidolt starken Anteil hat: In den Neuen Spielraum von Reichenau ein kniehohes grünes Labyrinth hinzubauen, ist von größter Aussagekraft und bewahrt vor retardierendem realistischem Schnickschnack: Nur das unrettbar fröhliche Dienstmädchen (Fanny Altenburger und folglich die begabte Tochter der Hauptdarstellerin) darf immer wieder das Tablett mit dem Kaffee herumtragen – und hinter der Bühne mit Karacho fallen lassen…
Marcello de Nardo hat die schwierige Rolle des seelisch schwankenden und doch standhaften Kaplans – wie alle Darsteller dieser Rolle tut er sich mit dem „normalen“ Zwillingsbruder, dem „Herrn Leutnant“, der sich von Gusti ancharmieren läßt, leichter. Miguel Herz-Kestranek ist der an sich trockene Typ des Professor-Künstlers, dem man den eleganten Ehebrecher dennoch ohne weiteres glaubt. Hinreißend, wie stürmisch David Jakob unter dem Wesen seiner Gusti leidet – und dann doch seines Weges geht. Was den Sohn des Hauses betrifft, so macht Tobias Reinthaller an sich alles richtig, wirkt nur leider um die zehn Jahre zu alt für die Rolle, die er in der Realität auch zu alt dafür ist… ein Schulbub, nein. Ein guter Schauspieler, ja.

Man mag an diesem Schnitzler-Stück seine Zweifel haben. Daß es in einer Aufführung wie dieser unter die Haut geht und all die Stärken des Dichters entfaltet, daran besteht allerdings kein Zweifel.
 
Renate Wagner