Das Auto in der Kunst

Eine Ausstellung in der Kunsthalle Emden

von Jürgen Koller

Motiv oben: Tatjana Doll, Ferrari, 2005
Das Auto in der Kunst
 
Leidenschaft im Wandel der Zeit –
eine Ausstellung in der Kunsthalle Emden
 
Das Rad war die geniale Erfindung ganz früher Zivilisationen im Zwei-Strom-Land, in Persien oder im asiatischen Raum. Nur die großartigen Kulturen Mittelamerikas, weder Mayas noch Inkas kannten bis zur Kolonisierung durch die Spanier und die Portugiesen kein Rad. Seit Urzeiten waren Pferd und Wagen das Transportmittel schlechthin – sei es für friedliche oder für kriegerische Zwecke. Erst der Siegeszug der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert revolutionierte die Produktion in allen wirtschaftlichen Bereichen. Das Industriezeitalter war der zivilisatorische Sprung von ungeahnten Ausmaßen in Europa und Nordamerika. Ganz gleich, ob man die Kohle- oder die Stahlproduktion betrachtet, das Transportwesen mit Eisenbahn oder Dampfschifffahrt ins Kalkül zieht oder die unaufhaltsame Entwicklung von präzis arbeitenden Werkzeugmaschinen auflistet, am Ende dieses 19. Jahrhunderts waren die technologischen, ingenieurtechnischen und personellen Voraussetzungen in Form qualifizierter Arbeitskräfte für eine neue geniale Erfindung gegeben, die Zeit war reif für das 'Automobil'. Ergänzt wurde das noch durch die Entdeckung der Vulkanisierung von Naturkautschuk zu Gummi, damit stand ein neues Material für die Ablösung des Stahlreifens am Rad zur Verfügung.
 
Keine Erfindung hat die Kunst so nachhaltig beeinflußt wie die Erfindung des Autos. Noch behaftet mit allen möglichen „Kinderkrankheiten“ wurde das Automobil, das „selbstbewegte Gefährt“, schon wenige Jahre nach Karl Benz' erster Fahrt von 1886 mit seinem Patent-Motor-Wagen zum Gebrauchsgegenstand. Zum 100-jährigen Jubiläum dieser Fahrt schuf Andy Warhol einen wunderbaren Siebdruck. Auch wenn Kaiser Wilhelm II. seinerzeit äußerte, daß er an das Pferd glaube und daß das Auto nur eine vorübergehende Erscheinung sei – der Siegeszug dieser Erfindung des späten Industriezeitalters war nicht mehr aufzuhalten. Über die Jahrzehnte hinweg wurde das Auto Gegenstand des Gebrauchs, Status-Symbol, Waffe, ästhetisches Objekt oder Fetisch. Für viele Menschen wurde das Auto Teil ihres Habitus', und zugleich entwickelten sie emotionale Bindungen zu diesem technischen Produkt.
Auf eine Anregung von Eske Nannen zurückgehend, sahen die Macher in der Kunsthalle Emden eine großartige Chance, dem Auto als Medium der europäischen und amerikanischen Kunstgeschichte eine Ausstellung zu widmen – von den Roaring Twentis, Pop Art, über konsumkritische Kontroversen in den 70er Jahren bis hin zum Fahr- und Lebensgefühl unserer Tage und dem zukünftig möglichen Verlust individueller Mobilität durch das autonome Fahren. Künstler haben seit je her das Auto verehrt oder verteufelt, es auf den Sockel gehoben oder es gar, wie Wolf Vostell, einbetoniert. Der Mythos Auto zeigt viele überraschende Fassetten – eine Leidenschaft im Wandel der Zeit.
 
Erstmalig in der Geschichte der Kunsthalle Emden wurde mit der Einrichtung einer Ausstellung eine Gast-Kuratorin beauftragt. Anette Vogel betreut im Hauptberuf die Sammlung des ADAC, die 1947 beginnt. Sie hat als Fachfrau den notwendigen kunsthistorischen, aber auch technischen Hintergrund für die Emdener Ausstellung „Das Auto in der Kunst“. Diese Schau wurde von ihr streng chronologisch konzipiert, was für das Publikum das Hineindenken in das Gesehene erleichtert. 100 Werke von 45 Künstlern werden übersichtlich und großzügig präsentiert. Wesentliche Teile der Ausstellung stammen aus der Sammlung des Unternehmers Gottfried Schultz und wurden über das Ehepaar Rademacher zur Verfügung gestellt. Von beachtlicher grafischer Wirkung ist gleich im Entree der Schau ein Blatt mit dem doppeldeutigen Titel „Supernova“ von Gavin Turk zu sehen, zeigend den fixierten Diesel-Abgas-Ruß auf weißem Papier. Es könnte auf die Endzeit der Diesel-Technologie hindeuten und auf den Beginn sauberer Elektromobilität verweisen. Schon in der Frühzeit des Autos waren diese und die dazugehörigen Chauffeure Gegenstand der Satire, so im „Simplicissimus“ von 1907 mit Eduard Thönys „Benzinhusaren“. Aber auch im „Scheitern“ mit der noch unreifen Technik fanden die Karikaturisten ihre Motive. Das Auto und die Großstadt waren Themen des Spät-Impressionisten Lesser Ury - „Champ Elysees“ (1920) und „Nächtliche Straßenszene“ (Berlin - 1915). Der noch junge Film entdeckte das Auto bzw. den Straßenverkehr mit seiner Dynamik und Aggressivität, beispielsweise in dem in den Babelsberger Studios gedrehten Film „Asphalt“ von 1927. War der Erwerb eines Autos noch in den Roaring Twentis den Super-Reichen oder dem begüterten Mittelstand vorbehalten, so änderte sich das mit der Einführung der Fließband- Massenproduktion durch Henry Ford in Detroit. Ende der 20er Jahre kostete ein Ford, Modell T, (Tin Lizzy = „Blechernes Liesel“), nur noch wenige Monatslöhne eines Bandarbeiters. Dieses Auto, zugegeben, eine äußerst bescheidene, aber rustikale Konstruktion, über zwanzig Millionen mal gefertigt, half entscheidend mit, die USA vom Atlantik bis zur Westküste zu motorisieren. Gab es um 1920 bereits ca. zehn Millionen Autos in den USA, so waren es am Ende der zwanziger Jahre schon mehr als zwanzig Millionen. Hier hätten einige Belegbeispiele amerikanischer Künstler zum Thema Fließband die Ausstellung noch aufgewertet.


© Martin Parr, courtesy Stephen Dalter Gallery Chicago & Rocket Gallery London 
 
Das Thema Maschine und Massenproduktion wird von Thomas Bayrle , in „American Dream“, 1970, aufgegriffen. Eine Grafik-Struktur zeigt Massen von Autos eingefügt in ein US-Banner. Beeindruckend eine Foto-Serie von Peter Keetma aus dem Jahre 1953 mit gestapelten Karosserieteilen des Käfers im VW-Werk Wolfsburg. Überhaupt der VW-Käfer - Ausdruck des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik, Sinnbild gesellschaftlicher Entwicklung und / oder nostalgischer Verklärung. Andy Warhol hat dem VW als Kultobjekt der amerikanischen Pop Art mit der Werbekampagne für den Käfer in den USA ein ewiges Denkmal gesetzt. Auch andere große Namen der Kunstwelt 'feierten' das Auto, etwa Gerhard Richter mit „Kleiner Parkplatz“, (1965), auch Don Eddy mit „Showroom Window“ (1972) wäre zu erwähnen, während Konrad Klaphecks „Der Lauf der Welt“ mit einem grobstolligen Super-Reifen in Großformat (1968) das Auto kritisch wertet. Überhaupt haben Fluxus, Happening, Noveau Realistes die Schattenseiten des Autos kontrovers zum Kultstatus gesehen. Smog in den Städten, schwere Unfälle und die Endlichkeit der Ressourcen wurden hinterfragt. Das Waldsterben dieser Jahre wurde zum guten Teil dem Bleizusatz im Benzin zugerechnet – ob das die Ursache war, sei dahingestellt, aber zumindest wurde das Blei aus dem Benzin verbannt. „Die jüngsten Werke kultivieren die Ära des Automobils, indem sie Chassis oder Auspufftopf als bewahrenswertes Kulturgut in Szene setzen.“
Die Frage bleibt, ob es in Zukunft noch solche Bilder geben wird, wie den „Ferrari“ (2005) von Tatjana Doll. Das ist nicht abzusehen, denn der emotionale Bezug für das Fahren mit dem Auto könnte bei der zu erwartenden automatisierten Elektromobilität verloren gehen. Am Ende der Ausstellung ist ein Lenkrad zu sehen, das sich von alleine dreht. Ist das der Wendepunkt? Künstler hatten stets ein Gespür für die Zukunft – aber die Frage muß offen bleiben, wohin geht der technische Fortschritt?


Don Eddy, Showroom Window, 1972, Acryl auf Leinwand © Don Eddy 
 
Die Ausstellung „Das Auto in der Kunst“ macht neugierig auf selten gesehene künstlerische Exponate, regt aber auch zum Nachdenken an, wohin der Weg führen wird. Gern hätten die Besucher der Schau noch einige anspruchsvolle gebrauchsgrafische Arbeiten zum Thema Auto betrachtet, leider wurde auf Plakate - bis auf eines – und weitestgehend auch auf Buchgestaltungen verzichtet. Der Untertitel „Rasende Leidenschaft“ impliziert ja geradezu Rennsportplakate mit Szenen voller Dynamik und Rasanz, etwa für das Rennen „Paris - Lyon“ wenige Wochen vor dem 1.Weltkrieg oder für die Wettkämpfe der „Silberpfeile“ in den 30er Jahren zwischen Mercedes-Benz und Auto Union auf der Avus in Berlin, auf dem Nürburgring, in Monaco oder gar in Tripolis. Zwei der damaligen Helden der Grand-Prix-Europameisterschaften waren Rudolf Caracciola und Manfred von Brauchitsch, die beide für Mercedes- Benz fuhren und sich härteste Kämpfe mit Hans Stuck oder Rudolf Hasse in Boliden von Auto Union lieferten. Brauchitschs Buch „Kampf um Meter und Sekunden“ aus den Mittfünfzigern sei zum Thema „Das Auto in der Kunst“ ergänzend empfohlen, es ist gewiß antiquarisch noch zu finden.
 
Katalog zur Ausstellung
Das Auto in der Kunst. Rasende Leidenschaft - (Hrsg.: Anette Vogel und Katharina Henkel)
Mit Texten von Walter Grasskamp, Thomas Wagner u.a.
© 2017 Wienand Verlag, ca. 192 Seiten, gebunden, ca. farbige 135 farbige und 20 s/w Abbildungen - ISBN 978-3-86832-401-3
36,- € / Broschur an der Museumskasse 29,80
Kunsthalle Emden
Hinter dem Rahmen 13 -  26721 Emden
Info-Tel. 49(0) 4921 97500 - E-Post: kunsthalle@kunsthalle-emden.de
 
Ausstellung:
Das Auto in der Kunst. Rasende Leidenschaft - 15. Juli bis 5. November 2017