Vergangenheitsbewältigung „light“

„Der Stern von Indien“ von Gurinder Chadha

von Renate Wagner

Der Stern von Indien
(Viceroy’s House - GB, Indien 2017)

Regie: Gurinder Chadha
Mit:
Hugh Bonneville, Gillian Anderson, Michael Gambon, Manish Dayal, Huma Qureshi, Tanveer Ghani, Denzil Smith, Neeraj Kabi u.a.
 
Es ist ein „BBC“-Film, wenn auch von einer indischen Regisseurin gedreht, und das zeigt, daß sich die Briten verstärkt ihrer kolonialen Vergangenheit stellen – wie ja auch im Vorjahr mit „A United Kingdom“ die koloniale Geschichte Botswanas nicht ohne (britisch) selbstkritische Note aufgearbeitet wurde. So richtig gnadenlos streng ist man mit sich selbst in der Vergangenheitsbewältigung allerdings auch nicht…
In „Viceroy’s House“, wie der Originaltitel lautet, geht es um die Unabhängigkeit Indiens 1947, die die Teilung des Subkontinents in zwei Staaten, Indien und Pakistan, zur Folge hatte, weil die Briten (angeblich) glaubten, daß Hindus und Moslems nicht in einem Land zusammen leben könnten – obwohl Gandhi genau das beschworen hat…
 
Damals wurde Lord Louis Mountbatten (1900-1979), ein Urenkel von Queen Victoria, verwandt mit allen Royals von Europa, mit dem schmückenden Beinamen eines „Earls of Burma“ versehen (für seine Leistungen im Zweiten Weltkrieg), mit dem Titel eines „Vizekönigs“ und begleitet von Gattin und einer Tochter nach Indien geschickt, um die Unabhängigkeit in die Wege zu leiten. Wer an diese Zeit denkt, dem fällt die berühmte Affäre von Lady Edwina Mountbatten mit Nehru ein, aber die wird hier schamhaft verschwiegen.
Die indische, aus dem Punjab (heute Region Pakistan) stammende Regisseurin Gurinder Chadha, deren Großeltern diese „Teilung“ Indiens mitsamt ihrer Massenflucht am eigenen Leib mit erlitten, versucht hier Historie höchst filmisch aufzubereiten, was dem Film zwei Ebenen verleiht und den Kitschfaktor stark forciert.
Ein Teil des Films gilt den Briten, einerseits der immensen Prachtentfaltung indischen Kolorits rund um den Palast des Vizekönigs (wo unendliche Scharen von Dienerschaft herumwieselten, jeder Handgriff zum Zeremoniell wurde und der Vizekönig natürlich von Dienern angekleidet wird, die auf Schnelligkeit und Präzision gedrillt waren…). Hier arbeiteten alle Religionen und Stämme nebeneinander, fast ein ideales Konglomerat Indiens, das sich jenseits der Palastmauern nicht fortsetzen ließ (und auch innerhalb dieser ja doch immer wieder zu Spannungen führte).
 
Im übrigen war Mountbatten mit den Verhandlungen befasst, hier Nehru für die Hindus, dort Muhammad Ali Jinnah für die Minderheit der nichtsdestoweniger sehr starken Muslimen (beide Darsteller, Tanveer Ghani und Denzil Smith erreichen, wenn man sich Originalfotos ansieht, große Ähnlichkeit mit den Vorbildern), und in seinem Nacken die Briten (Michael Gambon als intriganter Lord Ismay), wobei unterstellt wird, daß Mountbatten eigentlich aus der Ferne wie eine Marionette von Churchill agierte, der die Teilung (die Zerstückelung Indiens aus Machtgründen) um jeden Preis wollte… Gandhi (Neeraj Kabi) mit seinem Bestreben nach einem Einheitsstaat konnte sich bekanntlich nicht durchsetzen.
Aber um die Politik geht es erst in zweiter Linie. Die Regisseurin erzählt die innerindischen, konfessionellen und offenbar unüberwindlichen Konflikte an einer typischen „Romeo und Julia“-Geschichte – am Hof des Vizekönigs treffen sich der Hindu Jeet (Manish Dayal) und die Muslima Aalia (Huma Qureshi), in die er schon verliebt war, als beide noch in demselben kleinen Dorf lebten. Hier sind die Gegensätze unter Erwachsenen offenbar unüberwindbar, auch wenn der alte Moslem-Vater ein freundlicher, toleranter Mann ist – daß die Tochter dennoch an einen Verwandten zwangsverheiratet werden soll, darüber gibt es keine Diskussion…
Die Ereignisse rund um die Unabhängigkeit und die Teilung, die dann im „Hinauswurf“ (der Vertreibung) von 14 Millionen Muslimen in den Norden, die beiden Pakistans, mündete, spitzen sich dramatisch zu, der Flüchtlingsstrom erinnert tragisch an heute, die elenden Schicksale desgleichen. Und daß die Liebenden ein Happyend bekommen, ist eigentlich nur Kintopp zur Beschönigung des Grauens, das die Regisseurin – in wirkungsvollem Kontrast zur glanzvollen „Indien“-Folie rund um die Briten – durchaus ungeschönt auf die Leinwand bringt.
 
Wenn man ein bißchen von der Geschichte weiß, wird man mit der Besetzung von Lord Louis Mountbatten („Dickie“ für die Briten) nicht glücklich. Daß Hugh Bonneville ein Fernseh-Lord (in „Downtown Abbey“) ist, macht ihn und seine gemütliche Feistheit in keiner Weise zu einer überzeugenden Besetzung des so schlanken, gewissermaßen kantigen, britisch klar und kühl konturierten Lord, der sicher – wie die Regisseurin auch eingesteht – das Beste für Indien wollte. Sein Scheitern war sicher weniger triefend als das seines Darstellers. Und ob die ach so chicke Society-Lady Edwina wirklich die Ausstrahlung von Gillian Anderson hatte, die so amerikanisch wirkt, bezweifelt man auch.
Dergleichen wird letztendlich die Briten aber mehr stören, die den Film natürlich auch dazu benützten, je nach politischer Couleur pro und contra Churchill (Mountbatten war vielleicht wirklich nur eine Marionette) darüber zu diskutieren, was die Politiker damals mit Indien gemacht haben…
 
 
Renate Wagner