Sensibel und differenziert

Ragna Schirmer – „Clara“

von Johannes Vesper

Ragna Schirmer live: „Clara“
 
Klavierkonzerte Clara Schumanns
und Ludwig van Beethovens
 
Von Johannes Vesper
 
Genderfragen in der Musik? Frauenzimmer im Konzertleben? Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist auch in der Musik schwierig und überhaupt nicht ausgewogen. Zwar galt schon Francesca Caccini (1587-1640) als Allroundbegabung. Sie unternahm als Sängerin Konzertreisen nach Paris, komponierte Opern und wollte Gedichte von Michelangelo vertonen. Die schon als Kind erblindete Komponistin Maria Theresa von Paradies (1759-1824) erregte in Wien zu Zeiten Mozarts und Beethovens Aufsehen. Und Paganini ? Er hatte angeblich seine Lieblingsgeige mit dem Darm seiner ermordeten Geliebten bespannt. Frauen blieben als Komponistinnen lange unbeachtet, obwohl sie im 18. Jahrhundert als Sängerinnen und im 19.Jahrhundert als Instrumentalsolistinnen schon sehr geschätzt und anerkannt waren. Hans von Bülow, als berühmter Dirigent selbstverständlich ein handfester Macho, sprach dem schönen Geschlecht das Produktive schlicht ab. Noch 2014/15 stammten laut einer Untersuchung führender US-amerikanischer Orchester nur knapp 2 Prozent des Konzertrepertoires von Frauen. Dies vorab zum Sinfoniekonzert der Staatskapelle Halle mit Ragna Schirmer (Klavier) unter Ariane Matiakh im März 2017, dessen Mitschnitt jetzt als CD vorliegt. Sie spielten die Klavierkonzerte op. 7 a-moll von Clara Schumann (1819-1896) und das von Clara Schumann so geliebte op. 58 (Konzert Nr. 4, G-Dur) von Ludwig van Beethoven (1770-1827).
 
Ragna Schirmer konzertiert beim Heidelberger Sommer, beim Beethovenfest Bonn, dem MDR Musiksommer, den Händel-Festspielen in Halle, den Haydn Festspielen in Eisenstadt und musiziert u.a. mit Zubin Mehta, Sir Neville Marriner und Kurt Masur, mit den Münchenern Philharmonikern und dem Gewandhausorchester. In dem persönlichen Eröffnungstext des Booklets zur CD „Künstlerinnen…“ bekennt sie ihre Zuneigung zu Clara Schumann, die von ihrem strengen Vater zum pianistischen Wunderkind erzogen und zu diesem Zweck aus der Schule genommen wurde, damit sie, vom Schulstress befreit, sich ganz dem Klavierspiel widmen konnte. Was wäre aus Clara im heutigen G-8 Gymnasium geworden? Als 9jährige hatte der klavierbegeisterte Friedrich Wieck seine Tochter heftig kritisiert: „Mein Vater,…, bemerkte heute nochmals, daß ich immer noch so faul, nachlässig, unordentlich, eigensinnig, unfolgsam etc. sei, daß ich dies namentlich auch im Klavierspiel sei“. Unklar ist, ob der Eintrag von Clara oder ihrem Vater stammt, der für sie das Tagebuch angelegt und auch gleich selbst hinein geschrieben hat. Sie wurde trotzdem eine der größten Pianistinnen des Jahrhunderts. Clara war 16 Jahre alt, als sie ihr Klavierkonzert in a-moll (schon op.7!) vollendete, und damals verliebt in den 18 Jahre älteren August Theodor Müller, mit dem sie in Braunschweig zusammen musiziert hatte. Die Romanze des Mittelsatzes allein für Violoncello und Klavier mag eine Liebeserklärung, ein trautes, musikalisches Tête-à-Tête der 16jährigen mit dem 18 Jahre älteren, erfahrenen Kammermusiker des berühmten Müller-Streichquartettes in Braunschweig widerspiegeln. Die Ehe mit dem später kranken und schwierigen Robert, die Zuneigung zu Johannes Brahms und ihr kurzes Verhältnis mit dem dem Alkohol ergebenen Theodor Kirchner lagen noch weit in der Zukunft. Bei der Orchestrierung ihres Konzerts half noch Robert Schumann, den Clara im Alter von knapp neun Jahren kennen gelernt hatte. Der Klavierpart beinhaltet halsbrecherische Sprünge großer Hände, für die Clara bekannt war und die schon bei ihren konzertanten Improvisationen damals dem Publikum gefielen. So still und scheu im persönlichen Umgang (Mendelssohn), so emotional und empfindsam teilt sich die junge Komponistin bei ihrem technisch wie musikalisch anspruchsvollem Klavierkonzert mit. Im überraschenden 2. Satz läßt das Solo-Cello dem Klavier den Vortritt, bevor es seine zauberhafte Kantilene singt. Mit leisen Paukenwirbeln und abschließenden Trompetenfanfaren kündigt sich der Schlußsatz im flotten 6/8-Takt an. Unter perlenden Läufen, virtuosen Oktavkaskaden des Flügels und Orchesterschlägen, hält allegro molto nur noch einmal nachdenklich inne, bevor die lebhafte Musik mit differenzierter Agogik und Dynamik temperamentvoll dem Schluß entgegeneilt.
 
Anschließend war in Halle und ist auf der CD das von Clara Schumann so geliebte 4. Klavierkonzert (G-Dur, op. 58) von Beethoven zu hören, welches sie selbst mehr als 50 mal in Konzerten gespielt hat. Ehemann Robert Schumann hielt es vielleicht für „Beethovens größtes Klavierkonzert.“. Mit vagen, verhaltenden Beginn - unbestimmte piano Klavierakkorde vor der konzertanten Verschmelzung zwischen Orchester und Klavier zum sinfonischen Klavierkonzert - markiert es den Beginn der Romantik in der Musik. Wegen der atmosphärischen Dichte dieser Musik vor allem im großartigen Andante des 2. Satzes sprach Robert Schumann vom „groß-geheimnisvollen Adagio“. Das Konzert entstand 1805/1806, also in zeitlicher Nähe zur Eroica, zur Waldstein-Sonate, zur Appassionata, zu den Rasumovski-Quartetten, in der Hoch-Zeit seiner Schaffenskraft. Der Komponist widmete es seinem Klavierschüler und Gönner Erzherzog Rudolph von Österreich. Wegen der lyrischen Introvertiertheit und Verhaltenheit des Werks gab es Spekulationen, ob vielleicht dieses Konzert etwas zu tun haben könnte mit Beethovens Liebesbriefen an seine Klavierschülerin, die Gräfin Josephine Brunsvik. Wer weiß? Jedenfalls geht es im e-moll Andante, im Zwiegespräch zwischen Orchester und Klavier ernst zu, bevor sich im flotten finalen Rondo mit rhythmischem Tam- tata-tam und lyrischen Episoden die Stimmung wieder aufhellt. Sensibel und differenziert spielt Ragna Schirmer diese Werke.
 
Seit Jahren hat sie sich mit Clara Schumann, ihrem Leben als Künstlerin, Geliebte, 8-facher Mutter und Klavierpädagogin beschäftigt und ihre Biographien, Tagebücher und Briefe verschlungen. Sie gilt als ausgewiesene Expertin. 2015 legte sie schon ihre CD vor mit musikalischen verborgenen Liebesbotschaften zwischen Johannes Brahms, Robert und Clara, die ja bekannter Weise ihre Hochzeit dem ehrgeizigen Vater Wieck vor Gericht abtrotzen mußten. Als Pianistin erhielt Ragna Schirmer zahlreiche Preise, inklusive zwei Echo-Klassik-Auszeichnungen. Am 13.09.2019 will sie den 200. Geburtstag von Clara Schumann groß feiern. Darauf darf man sich freuen. Bei der jetzt vorgelegten Aufnahme wird sie von der Staatskapelle Halle unter Ariane Matiakh begleitet. Die Staatskapelle Halle feierte 2016 ihr 10-jähriges Jubiläum, nachdem sie seit 2006 durch die Zusammenlegung des Philharmonischen Staatsorchester und des Orchesters des Opernhauses Halle zu einem der großen Orchester Deutschlands zählt (130 Planstellen laut Webseite). Bei Halle denkt man an die wunderbare historische Innenstadt oder an die Deutsche Wissenschaftsakademie Leopoldina, denkt man natürlich an die Hallorenkugeln aus der ältesten deutschen Schokoladenfabrik (gegründet 1804) und nach dem Hören dieser wunderbaren CD jetzt auch an die Staatskapelle Halle, die unter dem einfühlsamen wie klarem Dirigat der inspirierenden Ariane Mariakh in einen fesselnden Dialog mit dem Klavier tritt. Sehr empfehlenswert.
 
Ragna Schirmer – „Clara“
© 2017 Berlin Classics, 1 CD
Ragna Schirmer (Klavier) - Staatskapelle Halle unter Ariane Matiakh
Eine Live-Aufzeichnung aus der Händelhalle (Halle März 2017