Beckfelds Briefe

An Sabrina Wilting

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Es liest sich wie ein Märchen: Eine Frau, die Vierlinge erwartet und sie gegen den Willen einiger Ärzte und ihres damaligen Freundes zur Welt bringt. Der Mut hat einen Namen: Sabrina Wilting.
 
Sehr geehrte Sabrina Wilting,
 
es sind viele Frauen, die mich in diesem Jahr beeindruckt haben. Beispielsweise Angela Merkel, die sich bei der Bundestagswahl souverän durchgesetzt hat. Oder Garca Machel, die dritte Ehefrau von Nelson Mandela. Bis zu seinem Tod wachte sie monatelang rund um die Uhr am Krankenbett ihres Mannes. Ich könnte noch viele andere nennen: Schauspielerinnen, Sportlerinnen, Musikerinnen oder auch die unzähligen Heldinnen des Alltags. Aber meine Königin des Jahres 2013, das sind nur allein Sie, die 25-jährige Bürokauffrau Sabrina Wilting aus Bocholt. Am 30. Juli haben Sie vier Kinder in der Dattelner Kinderklinik zur Welt gebracht. Sie hatten den Mut, die Entschlossenheit, zuvor nicht auf den Rat mehrerer Ärzte und Freunde zu hören. Sie haben sich entschieden für ein neues Leben. Für Ihre Vierlinge. Fürs Kinder-Glück. Aber auch für Entbehrungen. Für Stress hoch vier.
Was für ein herrliches, wunderbares Bild. Emilio, Chiara, Kilian und Fiona, alle auf ihre Weise friedlich und zufrieden schlummernd, und Sie halten schützend die Hände um Ihre Lieblinge. Was für eine dramatische Vorgeschichte. Mediziner haben Ihnen geraten, wie Sie sagen, „zwei Kinder wegmachen zu lassen“, dann hätten die zwei anderen bessere Überlebenschancen. Sie mußten mit der Angst leben, bei der Geburt zu verbluten. Und mit dem Risiko, daß Ihre Babys schwer behindert sind. Und damit noch lange nicht genug. Was für ein Feigling. Ihr damaliger Lebenspartner, der Vater der Vierlinge, ließ Sie mit der schwersten Entscheidung Ihres Lebens allein. „Wenn ich unbedingt alle haben will, wäre das mein Problem. Da müßte ich allein mit klarkommen.“
Sie waren schon vor der Geburt der zwei Jungen und Mädchen eine tolle Mutter. „Ich wollte alle vier auf die Welt bringen. Das waren doch schon Menschen, die ich auf dem Ultraschall strampeln sah.“ Anfangs nur 520 bis 570 Gramm leicht, mit den für Frühchen typischen Lungenproblemen, aber ansonsten wohlbehalten, mußten die Vierlinge fast sechs Monate in der Klinik bleiben, und es verging kein Tag, keine Nacht, da Sie nicht bei ihnen waren, nicht in Datteln übernachtet haben. Zu Weihnachten durften Sie fünf nach Hause. Mit dem sicheren Gefühl, erst mal nicht allein zu sein. Die helfenden Eltern wohnen gleich nebenan. In den ersten Monaten kommt eine Tagesmutter; die Krankenkasse bezahlt zudem - zunächst für drei Monate - die Nachtschwester. Klasse finde ich auch, daß Milupa und Pampers ein Jahr lang Nahrung und Windeln schenken.
Sie wissen aber, die Zeiten werden sich ändern. Ihr Leben wird nie wieder so sein wie vor der Schwangerschaft. Ihre Freundinnen machen Party, können ausschlafen, die Welt entdecken und unbeschwert shoppen gehen, flirten, sich verlieben. Sie dagegen müssen als alleinerziehende Mutter immer für Emilio, Chiara, Kilian und Fiona da sein.
Die vier werden hungrig sein, sie werden Bauch- und Zahnschmerzen haben, sie werden schon bald in verschiedene Richtungen krabbeln. Und dann kommt die Freude, die Angst vor dem ersten Tag im Kindergarten, in der Schule, am Ausbildungsplatz. Und irgendwann kommen auch die Wehwehchen, die kleinen und großen Sorgen, der Liebeskummer, der Ärger mit dem Chef und der Schwiegermutter. Kurz und gut: Es kommt das alltägliche Leben, und alles immer mal Vier.
 
Liebe Sabrina Wilting,
Hochachtung. Ich bin stolz auf Sie. Ich bewundere Ihren Mut und Ihre Bereitschaft, für Ihre Kinder auf so vieles zu verzichten. Ich wünsche Ihnen die Kraft, durchzuhalten in den Stunden, da Sie sich trotz der Vierlinge einsam fühlen. Die nächsten Monate, Jahre und Jahrzehnte werden stressig. Aber sie werden auch einmalig schön werden. Weil Sie vier wunderbare Kinder haben und die wiederum eine tolle, tapfere Mama.

(31.12.2013)
 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform 

Redaktion: Frank Becker