Das Menetekel an der Wand

„The Circle“ von James Ponsoldt

von Renate Wagner

The Circle
(USA 2017)

Regie: James Ponsoldt
Mit: Emma Watson, Tom Hanks u.a.
 
Als George Orwell im Jahre 1948 den Roman „1984“ schrieb, gab er der Menschheit dreieinhalb Jahrzehnte bis zu dem von ihm prophezeiten Überwachungsstaat. 1984, als noch nicht jedem sein Smartphone auf der Handfläche angewachsen war, konnte man noch hoffen, daß es vielleicht nicht ganz so schlimm wird. Heutige Voraussagen wissen, daß es schon viel schlimmer ist – und das Allerschlimmste daran? Nur einiges (etwa der Tugendterror derzeitiger politisch korrekter Sprachregelungen) ist wirklich „von außen“ her aufgezwungen. Im übrigens sind vor allem die jungen Menschen begeistert in ein System der totalen Veröffentlichung ihres Lebens hineingestürmt, aus dem einfachen Grund, weil sie sich endlich wichtig und beachtet fühlen können (und gar nicht darauf kommen, welch ein Irrtum das ist – weil selbstverständlich jeder, wie sie selbst, sich nur für sich selbst interessiert…).
 
Nach dem gleichnamigen Roman von Dave Eggers (2013) erzählt der Film „The Circle“ von James Ponsoldt nun eine Geschichte, die erschreckt, weil sie so total echt wirkt und Ereignisse aufzeigt, die wohl vor der Türe stehen. Da spielt Emma Watson – so sympathisch, klar, auch klug – die junge Mae Holland, die nach ihrem Studium einen Job bei „The Circle“ bekommt, eine Firma, deren Engagements bei den jungen Digitalgenies so begehrt sind wie heutzutage wohl ein Job bei Google. Man wird von einer Menge von Leuten empfangen, die gleich inniges Interesse an dem Neuling hegen, wobei man sich natürlich geschmeichelt fühlt.
Und da ist da auch noch der charismatische Chef, der große Mann: Tom Hanks spielt diesen Bailey so freundlich-gelassen, daß man nie auf die Idee käme, er könne vielleicht Böses im Schild führen. Auch wenn er bei öffentlichen Veranstaltungen seines Konzerns als souveräner Moderator seiner selbst einzelne Mitglieder des Teams vorführt – das ist doch eine Ehre, nicht wahr, auch wenn Mae sich begreiflicherweise anfangs nicht ganz in solcher „Prüfungssituation“ wohlfühlt.
 
Was will diese schöne neue Welt des „Circles“? Sie möchte jeden Menschen auf dieser Welt einbeziehen, möchte immer wissen, beobachten, aufzeichnen, was er macht, jede Sekunde seines Lebens. Man stelle sich den Vorteil vor – keine Verbrechen mehr! Jeder Abweichler kann sofort erwischt werden! Es gibt Spiele, wie man Menschen, die sich der totalen Überwachung entziehen wollen, jagt und findet, wer ist am schnellsten dabei? Das ist doch beste Unterhaltung!
Man kann nicht sagen, daß es nicht an Warnungen für Mae fehlte, nicht zuletzt von der Freundin, die ihr den Job vermittelt hat und die zu Einsichten gekommen ist. Aber unsere Heldin, die schrittweise in diese Circle-Welt gerutscht ist, ist eigentlich sehr angetan von dem Ganzen. Mehr noch, sie wird auserwählt, die neue BodyCam des Konzerns auf sich zu tragen, das heißt, die ganze Welt sieht ihr jede Sekunde ihres Lebens zu! Das gibt Zuspruch ohne Ende!
Daß jeder, mit dem sie in Kontakt kommt, auch betroffen ist, steht auf einem anderen Blatt. Doch selbst als ihre Eltern ihr eines Tages sagen, daß sie das bitte nicht mehr aushalten… selbst als ihr Boyfriend auf der Flucht vor den „Circle“-Jägern tödlich verunglückt… selbst als sie begreift, daß die Chefs in ihren Taten von der Überwachung selbstverständlich ausgenommen sind…
… der Film zeigt uns am Ende nicht das Aufbegehren der Mae Holland, nicht den üblichen Kampf gegen die erstickende Überwachung, die sich wie eine Krake über die Menschheit gelegt hat. Sie bleibt am Ball. Die Allmacht des Konzerns bleibt unangetastet. Und das ist an dieser würgenden Geschichte das schrecklichste…
 
Unfreundliche Kritiken in den USA werfen dem Film vor, daß alles, was er zeigt, so schrecklich simpel auf der Hand liegt. Aber kann es solcherart nicht umso einleuchtender die Zukunft sein? „The Circle“ ist das Menetekel an der Wand, vor der wir bereits zentimeternahe stehen. Man sollte das überlegen und sich fragen, was man tut, bevor man schnell wieder seine tiefsten Geheimnisse auf Facebook mit der ganzen Welt teilt.
 
 
Renate Wagner