Interflug, Konsum, LPG

„Die verschwundene Arbeit – DDR-Betriebe, die es nicht mehr gibt“

von Frank Becker

Titel: Leunawerke - Foto Bundesarchiv/Klaus Lehnartz
Die verschwundene Arbeit
 
Wie der Alltag verschwand
und Menschen entwurzelt wurden.
 
Es ist eines der großen Dramen der Wendezeit während der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nach 1990, das Menschen und Betriebe in ihrer Existenz bedroht und nicht wenige vernichtet hat. Gleichzeitig wurden einige Landstriche radikal und nachhaltig verändert: Ich spreche von der Abwicklung einstmals blühender, von der DDR-Führung künstlich am Leben erhaltener Betriebe, die von Musterbetrieben des Sozialismus zu ruinösen Subventions-Projekten geworden waren und auch in der DDR nicht mehr ewig hätten überleben können. Es geht aber auch und besonders um Betriebe und ihre Mitarbeiter, die unter Umständen durchaus eine Chance gehabt  hätten, wenn man nur gewollt hätte.
„Abgewickelt“ ist das herzlose Wort, das aber den ebenso herzlosen Vorgang beschreibt, mit dem die Politik und die Wirtschaft nach 1990 neben Großbetrieben in vielen Fällen auch funktionierende Kleinbetriebe vernichtet haben. Man kann durchaus verstehen, daß sich in diesen Jahren manch ein Bürger, der in der DDR gelebt hat, aufgewachsen ist und dort sein Auskommen hatte, trotz der bekannten staatlichen Repressalien zumindest die schönen Seiten der DDR zurückgewünscht hat. Die Redewendung „Wo gehobelt wird, fallen Späne“ trifft den damaligen Vorgang aus kapitalistischer Wirtschaftssicht, wenn es auch zynisch klingt.
 
Im Verlag Bild und Heimat ist ein berührender Bildband erschienen, der unter dem Titel „Die verschwundene Arbeit – DDR-Betriebe, die es nicht mehr gibt“ das Thema aufgreift. Herausgeber Uli Jeschke hat Bilddokumente aus vielen staatlichen, privaten und Firmen- Archiven zusammengetragen, die eine Arbeitswelt zeigen, die in ihrer Art funktionierte und aufgrund ihres sozialistischen Systems jedem und jeder Lohn und Brot gab. 40 Jahre lang lebte der letztlich nicht realisierbare Traum vom „real existierenden Sozialismus“. Wo Menschen auf ihre Freiheit verzichten mußten, unter ständiger staatlicher Bewachung und Bespitzelung standen und im eigenen Land eingesperrt waren und gleichzeitig der Blick nach Westen zeigte, was Wohlstand und Freiheit war, konnte sich ein solches System nicht lange halten. „Wenn ihr uns nicht seit Jahrzehnten per Paket mit Kaffee, Damenstrümpfen, Jeans, Westwährung etc. versorgt hättet, wäre die DDR schon längst zugrunde gegangen“, darf ich an dieser Stelle eine Stimme zitieren, die mir bei einem DDR-Besuch 1988 ganz offen die Verhältnisse im Land schilderte. Ein Bekannter dort konnte seinen Wartburg nicht reparieren, weil der erforderliche Kolben in der DDR nicht zu bekommen war. Ich beschaffte ohne Probleme zu Hause im Westen einen und schickte ihn in die DDR – per Paket. Das nur am Rande über die marode Volkswirtschaft des Landes, das es trotzdem immerhin unter die zehn stärksten Industrieländer der Welt geschafft hat. Na ja, auf Pump…
 
Das Buch, das ich Ihnen hier vorstelle, zeigt die positiven Seiten der Arbeitswelt und Wirtschaft der DDR, Errungenschaften, auf die ihre Bürger stolz waren. Daß ein ordentlicher Schuß Nostalgie dabei einfließt, lieg in der Natur der Dinge. Erinnerung färbt vieles schön, läßt manches in einem milden Licht erstrahlen und dem Gewesenen nachtrauern.
„So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“, wird Frida Hockauf Mitte der 1950er Jahre zitiert. Sie wurde damit nicht nur für ihre eigene Arbeiterbrigade im VEB Mechanische Weberei Zittau eine Heldin der Arbeit. Der Bildband porträtiert rund 70 wichtige DDR-Arbeitsstätten und eine Arbeitswelt, die es heute nicht mehr gibt. Vom Staatszirkus der DDR und den VEB Dieselmotorenwerken Rostock über die Interflug, das VEB Kombinat Sekundär-Rohstofferfassung, das Kabelwerk Oberspree, die Leunawerke bei Halle, die Stadtbrauerei Leipzig, das VEB Stern-Radio Sonneberg bis hin zu den Systemen des Konsum und der LPG und zum Werkzeugkombinat Schmalkalden - auf den Fotografien sind zudem die Hoffnungen und Erwartungen, aber auch der Schweiß und die Mühen der Menschen noch zum Greifen nahe. Mit ausführlichen Bildunterschriften versehen, geben die Bilder Zeugnis ab von einer Zeit des Aufbruchs hin zu einer besseren Welt, die heute in weite Ferne gerückt ist.
 
„Die verschwundene Arbeit – DDR-Betriebe, die es nicht mehr gibt“
© 2016 Verlag Bild und Heimat, 112 Seiten, gebunden, 26 x 21 cm, reich illustriert – ISBN: 978-3-95958-046-5
9,99 €
 
Weitere Informationen:  www.bild-und-heimat.de