Über die Gier von Betrügern und die Blindheit der Betrogenen

Julian Nebel – „Adele Spitzeder“

von Frank Becker

Über die Gier von Betrügern
und die Blindheit der Betrogenen
 
Im Zeichen eine Null Prozent Zins-Politik ist vielleicht derzeit nicht ganz so leicht, den Leuten mit Sparanlagen und Kreditgeschäften ihr Geld aus der Tasche zu ziehen. Käme aber einer, der in diesen Tagen 3% anböte, man würde ihm vermutlich die Bude einrennen. Und kaum einer würde fragen, woher er diese drei Prozent nimmt, solange ausgezahlt wird.
 
Vor knapp 140 Jahren zeigte eine Frau der Welt, wie es gemacht wird: Ohne fachliche Qualifikation, ohne Grundkapital und ohne Sicherheiten, dafür mit enormer krimineller Energie und Chuzpe warb die ehemalige Schauspielerin Adele Spitzeder mit dem Versprechen von 10% Zinsertrag (in nur drei Monaten) um Spareinlagen kleiner Leute, die das wenige, das sie hatten, möglichst schnell vermehren wollten. Von 1869 bis 1872 scheffelte sie zunächst in einem Gasthaus, dann in ihrem von den Einlagen der Sparer erworbenen eigenen feudalen Haus ohne eine ordentliche Buchführung und ohne eine Steuerveranlagung mit ihrer „Dachauer Bank“ der Münchner Privatbank, die im Grunde ja gar keine war, trotz mannigfaltiger Warnzeichen Millionen von Gulden, die sie mangels Tresor in ihrem Schlafzimmer und bei einem Friseur einlagerte.
Durch die Aufmerksamkeit und die Warnungen der Münchner Neuesten Nachrichten, die Spitzeders Geschäfte durchschauten, wurden Polizei und Handelsbehörden auf den Plan gerufen – doch mit Hilfe von Winkeladvokaten und eigener Bauernschläue konnte die Betrügerin sich mehr als einmal der Aufdeckung und der Pleite entziehen und ganze drei Jahre weiterwirtschaften. Die Blase wurde immer größer, Adele Spitzeder kaufte mehrere Zeitungen auf, die nun positiv über sie zu berichten hatten, schmierte Polizeibeamte und verschaffte sich durch großzügige Kredite Informationen und Einfluß bis in höhere Verwaltungskreise.
 
Sie fertigte Wechsel aus, tätigte Wertpapiergeschäfte und belieh Juwelen und Gold. Man rannte Adele Spitzeder, einer gescheiterten ehemaligen Schauspielerin schier die Türen ein, bekniete sie, das Geld anzunehmen, sogar, als sie den Zins auf 3% senkte und leistete damit einen Anteil an der gigantischen Blase, die nach drei Jahren mit einem mächtigen Knall platzte. Mehr als 30.000 Menschen in München und in der ländlichen Umgebung verloren ihre gesamten Ersparnisse. Berufliche und familiäre Existenzen, ja ganze Land-Gemeinden, die ihr auch auf den Leim gegangen waren, waren ruiniert. Doch die Schar von unehrlichen „Mitarbeitern“, die sie in Menge eingestellt hatte, um Kunden zu akquirieren, den Kundenverkehr sowie die Ein- und Auszahlungen zu ordnen, war kaum weniger kriminell als die „Bankière“ – diese Schmarotzer bedienten sich im Moment des Zusammenbruchs und hatten das zuvor bereits im großen Umfang getan, an den Bar-, Gold- und Wertpapier-Vorräten der „Bank“.
Adele Spitzeder kam mit einer erstaunlich milden Gefängnisstrafe von drei Jahren davon, zahllose Schuldner aber nahmen sich aus Verzweiflung das Leben.
 
Julian Nebel hat diesen gigantischen Betrug nach historischen Quellen im Kontext der geschichtlichen, kulturellen und politischen Entwicklung nach- und aufgezeichnet. Das liest sich spannend wie ein Kriminalroman, ist aber die bittere Wirklichkeit – und man wird das fatale Gefühl nicht los, daß so etwas jederzeit und in weitaus verheerenderem Ausmaß jederzeit wieder geschehen kann, denn die Gier ist bei Betrügern und Betrogenen unverändert groß und durch die Globalisierung von Finanzgeschäften noch gefährlicher. Das Gesellschafts- und Geschichtsbild (Krieg 1870/71, Ludwig II., Richard Wagner u.a.m.), das Julian Nebel hochinteressant zeichnet, rundet die unglaubliche Geschichte. Haben Sie in ihrem Freundeskreis Banker, Finanzbeamte oder Polizisten? Dann haben Sie mit diesem Buch das ideale Geschenk.
 
Julian Nebel – „Adele Spitzeder“
Der größte Bankbetrug aller Zeiten
© 2017 FinanzBuch Verlag, 169 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-95972-048-9
17,99 €
 
Weitere Informationen: www.m-vg.de