Spannung zwischen Buchdeckeln

Krimi-Empfehlungen

der Musenblätter-Redaktion

Foto © Frank Becker
Von falschen Priestern, findigen Journalisten, schlauen Detektiven, bestechlichen Politikern und undurchsichtigen Polizisten

Krimi-Tips der Musenblätter-Redaktion


Die Sommerzeit ist seit ein paar Tagen wieder eingeläutet, die Abende werden länger und es wird milder, wir können wieder "an die Luft" und hoffentlich bald die Freizeit auf dem Balkon oder im Biergarten mit einem Krimi verbringen. Da möchten wir ein paar Lesetips geben, denn der Markt bietet viel.

Bayern.
Man sollte die alten Fahrensleute nicht unterschätzen.
Auch wenn Krimialrat a.D. Joe Ottakring eigentlich seinen Ruhestand mit Rosen züchten im schönen Rosenheimer Land, genauer: am Chiemsee verbringen wollte und nach Jahrzehnten Mordkommision in München nicht den geringsten Bedarf nach Leichen verspürte - als ihm ein Boot mit zwei nackten Toten, einer SIG-Sauer-P-226 und einem bizarren Arrangement von Rosen der Züchtung "Princess Alexandra of Kent" quasi vor die Füße treibt, erwacht der alte Jagdinstinkt. Im etwas komplizierten Privatleben hin- und hergerissen zwischen zwei Frauen und als Münchner Pensionär bei den Kollegen der Rosenheimer Landpolizei nicht eben akzeptiert, nimmt der alte Bluthund die Fährte auf. Ein blendend erzählter und packend aufgebauter Krimi. Hansdieter Loy: "Rosen für eine Leiche", Emons Verlag, 207 Seiten Paperback, 9,90 €.






Berlin.
Der fleißige Sachbuch- und Roman-Auto Alfred Hellmann
hat mit seinem ersten Krimi bei Emons beachtliches Potential investiert und kann daraus gleich so viel Zinsen ziehen, daß es sicher bald für einen weiteren Krimi im Berlin der neuen Zeit reicht. Seine beiden Kriminaler der Berliner Mordkommission, Viktor Land und Irina Heinrichs, haben eine mysteröse Reihe von Morden zu klären, deren Opfer selber Täter waren: tatsächliche und vermeintliche Produkt-Erpresser werden in eine bundesweiten Serie von einem geheimnisvollen "Kommando" liquidiert. Die Fäden laufen in der Hauptstadt zusammen. Wer steckt dahinter? Polizei-SEK, Geheimdienste, Politik? Land und Heinrichs, behindert von mauernden Behörden stochern zunächst im Dunkeln, bevor sie den Knoten lösen können. Gut geschrieben, prima Typen, doch nicht immer korrekt recherchiert: wer "Burschenschaftler" (mit "l") schreibt, hat nicht aufgepaßt. Marginalien, aber wichtig. "Vor den Hymnen", Emons Verlag, 239 Seiten, 9,90 €.




Schleswig-Holstein.
Auch hinterm Deich ist die Welt nicht immer in Ordnung. Das muß Krimialrat Lüder Lüders vom polizeilichen Staatsschutz feststellen, als er nach einem Briefbombenattentat seine Ermittlungen an der Schlei bei Schleswig aufnimmt: was zunächst nach kriminellem politischem Sumpf aussieht, in dessen brackigem Wasser es zu dem Anschlag und anderen Verbrechen kommen konnte, entpuppt sich bald als brutalste Kriminalität vor dem Hintergrund handfester Wirtschaftsinteressen. Erst Antipode des Mannes vom LKA Kiel, dann verläßliche Ermittlungspartnerin ist Hauptkommissarin Frauke Dobermann von der Kripo Flensburg. Bis beide aufdecken, welcher Filz hinter der Verbrechens-Serie steht und was die wirklichen Beweggründe der kriminellen Auftraggeber sind, müssen sie ein Kartell des Schweigens aufbrechen. Hannes Nygaard: "Küstenfilz", Emons Verlag, 267 Seiten, 9,- €





Dresden.

Es kann sehr heiß sein im schönen Elbflorenz. Die in Recherchieren erfahrene und weitgereiste Journalistin Beate Baum hat sich von der Atmosphäre Dresdens schon zu ihrem dritten Krimi mit Lokalkolorit inspirieren lassen. In "Mörderische Hitze" setzt sich ihr Alter ego Kirsten Bertram auf die Spur des wirklichen Mörders des Journalisten Helmut Salzinger. Im Verdacht steht nämlich ihr Freund Andreas Rönn, ebenfalls Journalist und hausinterner Konkurrent des Ermordeten. Eingeschleust in die Redaktion des "Sächsischen Merkur" ermittelt sie undercover mit Hilfe ihres Exfreundes, dem amerikanischen Privatdetektiv Dale - und kommt einem Netz von Korruption und Gefälligkeitsjournalismus auf die Spur.
Beate Baum: "Mörderische Hitze", Aufbau Verlag, 233 Seiten, 7,95 €
Weitere Romane der Autorin: "Dresdner Silberlinge" und "Dresdner Geschäfte".







Paderborn.
Einen Privatermittler, der sich hinter einem "Kalkstreifen" verbirgt, findet man wohl nur in Paderborn. Friedrich Maikötter ist der ostwestfälische Detektiv, der gerne mal das Priestergewand mit Collar anlegt, denn damit fällt er im erzkatholischen Paderborn kaum auf - glaubt er. Mit seinem Neffen Gregor Deckel, den ihm seine Schwester als Praktikanten aufs Auge gedrückt hat, macht er sich an die Beschattung eines untreuen Ehemannes, als er unversehens in eine Mordserie verwickelt wird. Und weil ausgerechnet Maikötter immer die tiefgefrorenen Leichen findet, die einen Schal mit den Farben des SC Paderborn 07 (augenblicklich in der 2. Bundesliga übrigens auf einem Abstiegsplatz) um den Hals haben, steht er schnell bei Hauptkommissar Gökke als Verdächtiger ganz oben auf der Liste. Der Kabarettist, Kolumnist, Padermann-Schöpfer, Autor und Schauspieler Erwin Grosche hat diesen skurrilen Detektiv erfunden. Das skurrile Paderborn war schon da. Er brauchte es nur zu benutzen. "...der erste Fall von Maikötter"  heißt es im Umschlagtext zu dem mit Augenzwinkern geschriebenen Roman. Also sind weitere zu erwarten. Und wer Erwin Grosche kennt, entdeckt ihn selbst immer wieder mittendrin, ob es eine Toto Blanke-CD ist, die Maikötter hört, ob es um Streuselkuchen-Philosophie geht, Stehcafés oder Bäckereien. Erwin Grosche: "Der falsche Priester", Pendragon Verlag, 207 Seiten, 9,90 €.





Oldenburg.
Weit weniger amüsant läßt sich ein weiterer Kriminalroman aus dem Pendragon Verlag an: "Der Graumacher". Düster, unheimlich und mit psychologisch raffiniert aufgebauter Spannung erzählt Renate Niemann in ihrem Erstling von der Suche nach einem Phantom, bei der sich die jungen Journalisten Rita Toski, Benedikte von Barenburg-Rysum und Friedhelm Delius erst aus purer Neugier, dann verbissen einem  unvorstellbaren Grauen nähern. Was steckt hinter dem Geheimnis einer aufgegebenen Irrenanstalt mitten in Oldenburg und einem in Stein geritzten Hilferuf. Rita entdeckt ein fürchterliches Geheimnis, geht bei ihren Nachforschungen weit zurück in die Zeit vor 1945, stößt auf den von einem beinahe mystischen Schleier umgebenen "Graumacher" und gerät selbst in allerhöchste Gefahr. Gruselig, sehr spannend und fesselnd. Renate Niemann: "Der Graumacher", Pendragon Verlag, 254 Seiten, 9,90 €.







Wien
Ganz frisch auf dem Tisch liegt eine üppige Anthologie aus dem Dortmunder GRAFIT Verlag. "Schöne Leich in Wien" heißt die Sammlung mit delikater Ironie - eine Annäherung an eine besondere Stadt mit ihrem besonderen morbiden Flair. Spätestens seit Oberinspektor Marek, Major Adolf Kottan und Gendarmerie-Inspektor Simon Polt ist der wienerische bzw. österreichische Genre-Krimi in Deutschland ein Muß für Kenner. So macht denn auch der Bad Ausseer Alfred Komarek, Schöpfer Polts, mit einer Geschichte aus dem fiktiven Burgheim im fiktiven Wiesbachtal im Weinviertel den Anfang - weil es österreichischer eigentlich kaum geht. Die folgenden 23 Kriminalerzählungen von 23 deutschsprachigen, nicht notwendigerweise österreichischen Autoren, darunter Krimi-Koryphäen wie u.a. Jürgen Kehrer, Jürgen Pomorin (Leo P. Ard), Edith Kneifl und Stefan Slupetzky, stellen mit Mordgeschichten unterschiedlichster Couleur die Wiener Stadtviertel einmal ganz anders vor als der Baedeker. Von Mariahilf bis Döbling, von Simmering bis Hernals und von der Josefstadt bis Favoriten ist man seines Lebens nicht sicher. Sicher aber für den Leser ist abwechslungsreiche Lektüre der besonderen Art. Wien-Reisende sollten dieses Buc neben dem Reiseführer unbedingt im Gepäck haben. Angela Eßer (Hrsg.): "Schöne Leich in Wien", GRAFIT Verlag, 274 Seiten, 9,80 €.