Aus dem Rathaus hat man ein Geschrei gehört

Übermütiges Theater fürs und mit dem Publikum beim 1. „Schnappschuß“

von Frank Becker und Vanessa Radman

Aus dem Rathaus hat man
ein Geschrei gehört
 
Übermütiges Theater fürs und mit dem Publikum
 
Man kann, ohne zu übertreiben oder schmeicheln zu wollen, diesem ersten Versuch des jungen Wuppertaler Schauspielensembles, Theater außerhalb des Musentempels unmittelbar ans Publikum zu tragen, den Stempel „Voller Erfolg“ auf die Antragsformulare drücken. Denn um solche und vieles andere mehr ging es am vergangenen Donnerstag um 17.00 Uhr im Atrium des Wuppertaler Rathauses im Barmer Zentrum. Martin Petschan, Alexander Peiler, Konstantin Rickert und Thomas Braus ließen unter Regie von Braus und Regieassistentin Barbara Büchmann nach Herzenslust die Rampensau raus, als sie vor und zwischen den zahlreichen Zuschauern durch klassische Dramen tobten und sich im Stegreif und per Paternoster am losen Handlungsfaden einer verzweifelten Formularsuche entlang hangelten.
 
„Man braucht einen Passierschein, damit einem nichts passiert.“ Das leuchtet doch ein. Aber zunächst muß man auf der RAT-Haus-Reise das blaue Antragsformular A 38 ausfüllen. Wo aber um Himmels Willen gibt es das? Und in welchem Zimmer? Und wo das rosa Anschlußformular? Zwei Antragsteller, zugegeben, auch leicht angesäuselt, müssen wohl am bürokratischen Apparat scheitern, zumal das Zukunftsarchiv zugunsten des Vergangenheitsministeriums aufgelöst wurde... Daß sie sich dabei bis zur Erschöpfung im Dschungel der Rathausgänge und den Kabinen des Paternosters verlieren, in Proben zur Balkonszene aus „Romeo und Julia“, zu „Hamlet“ und zum „Faust“ platzen (und waren da auch Beckett und Moliere im Spiel?) und ein heilloses Durcheinander veranstalten, ist herrliches Theater voller Albern- und Ernsthaftigkeiten. Die vier Schauspieler schaffen durch atemberaubendes Spiel, schnellen Rollenwechsel, blitzschnelle Umzüge und rasant zurückgelegte Wege über Treppen, Gänge und den Paternoster die Illusion einer enorm großen Theatertruppe. Gesetzmäßigkeiten und Parallelwelten trafen bei dieser Karussellreise durch die Theatergeschichte aufeinander, und es entstand ein köstliches Kreativchaos mit Teilhabe für alle.
Thomas Braus benutzte Elemente der Commedia dell´Arte, des klassischen und des absurden Theaters, bezog als Theaterdirektor (bitte, nicht stören!) inmitten des Trubels das fröhlich mittuende Publikum, mit dem er konzentriert den Faust- und den Hamlet-Monolog probte, mit ein und zeigte, wie nah Theater dem Leben ist.

 
„Romeo, mein Romeo!" - Konstan Rickert als Julia - Foto © Frank Becker

Eine bessere Reklame kann wohl das durch seine politisch gewollte Reduzierung der letzten Jahre arg lädierte Wuppertaler Stadttheater nicht bekommen als durch dieses Konzept, von dem die nächste Kostprobe bereits am 14.12.17, 21.00 Uhr in der Schankwirtschaft Marlene zu erleben sein wird. Mit reichem Applaus entließ das sichtbar glückliche Publikum nach 25 turbulenten Minuten und herzlichen Lachattacken die Mimen.
„Sein oder nicht sein, das ist die Frage", hieß es lange für das bedrohte Wuppertaler Schauspiel. Bei dieser frischen Energie unter der Intendanz von Thomas Braus kann unser Plädoyer nur lauten: „Sein!".


Also bitte, nochmal: „Habe doch ach..." - Thomas Baus als Theaterdirektor - Foto © Frank Becker

Weitere Informationen: http://www.schauspiel-wuppertal.de